AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN
wird mit drastischen Sparmaßnahmen, verbunden mit ungeheurem persönlichen Fleiß, den überschuldeten Staatshaushalt sanieren, um Preußen unabhängig von ausländischen Geldgebern zu machen. Wer zu viele Schulden hat, ist abhängig. An dieses historische Faktum werden zu Beginn der „Zehner-Jahre“ des 21. Jahrhunderts viele Staaten erinnert. Und Friedrich Wilhelm I. begnügte sich nicht mit Budgetkosmetik. Von vierundzwanzig Schlössern seines Vaters behielt er nur sechs. Das Haushaltsgeld für den Hofstaat kürzte er auf ein Viertel zusammen. Für Kultur hatte er wenig übrig, die Oper wurde geschlossen, die königlichen Lustgärten in Exerzierplätze umgewandelt.
Schon 1722 legt Friedrich Wilhelm I. Instruktionen für seinen Nachfolger fest: „keine Metressen, es beßer zu Nennen Huhren, haben und ein Gottsehliches Leben führen; … nicht Sauffen und freßen davon ein unzügtiges Leben her kommet, … und auch nicht zugehben das in seine Lender und Prowincen keine Komedien, Operas, Ballettes, Maskeraden, Redutten gehalten werden.“
Ein verweichlichter, verschwenderischer Thronfolger mit homoerotischen Neigungen droht sein Lebenswerk zu zerstören. Der Soldatenkönig will seinen Sohn mit Gewalt nach seinen Vorstellungen formen, er versucht den rebellischen Sohn zu brechen. Und scheitert. Die Prügel, die der spätere König Friedrich II. dabei bezogen hat, hat er vermutlich sein Leben lang nicht vergessen. Der Konflikt eskaliert. Zwei Monate vor dem Fluchtversuch demütigt der König seinen Sohn durch Schläge in der Öffentlichkeit. Er selbst hätte sich lieber erschossen, als sich von seinem Vater so behandeln zu lassen, höhnt Friedrich Wilhelm I. Später, in Verhören über die Gründe seiner Flucht, wird Friedrich angeben, dass der königliche Vater ihn „hart traktiert“ habe. Schon im November 1729 will der Kronprinz Preußen verlassen, „weil Dero Herr Vater immer ungnädiger auf ihn geworden“. Es wird ein weiteres Jahr dauern, bis der mittlerweile 18-Jährige seinen Fluchtplan in die Tat umsetzt.
5. August 1730, gegen zwei Uhr morgens. Der Kronprinz steht auf der finsteren Dorfstraße der kleinen Ortschaft Steinsfurt in der Nähe von Mannheim und wartet. Jede Minute sollte sein Page Keith mit den Pferden kommen. Doch der Bursche verspätet sich. Der Prinz ist nervös, und er hat allen Grund dazu. In wenigen hundert Metern Entfernung schläft der König in einer Scheune. Friedrich Wilhelm I. befindet sich auf einer Inspektionsreise zu den süd- und westdeutschen Höfen. Das kleine Dorf ist mit seinem Gefolge voll belegt. Das Gefolge des Königs: auch er, Friedrich, gehört als Oberstleutnant der preußischen Armee dazu. Gehörte. Er hat die Uniform des verhassten Vaters abgelegt. Er trägt einen knielangen „Roquelaure“, eigens für diesen Anlass aus roter Seide geschneidert. Plötzlich scheint die ungewohnte Zivilkleidung auf seiner Haut zu brennen. Der preußische Kronprinz weiß, dass er viel riskiert. Er will nach Holland entkommen und von dort über den Ärmelkanal nach England flüchten, weit weg vom Vater. Was aber, wenn die Flucht scheitert? Wenn er verraten wird? Der Vater wird kein Erbarmen kennen, da ist er sicher. Wenn nur der Page endlich käme.
Friedrich lauscht in die Nacht. Plötzlich hört er Geräusche. Kann die Flucht jetzt beginnen? Noch lässt sich im Dunkeln nichts erkennen. Jetzt dringen Stimmen durch die laue Nachtluft, Rufe. Die Enttäuschung schlägt wie über ihm zusammen. Es ist nicht sein Diener mit den rettenden Pferden, sondern es sind Offiziere des Vaters, die ihn suchen. Sie kommen, um ihn zu holen. Sie sprechen den Kronprinzen, der an eine Wagendeichsel gelehnt steht, an: Was er hier erwarte? Die Offiziere bitten den Kronprinzen, rasch die rote Zivilkleidung abzulegen und wieder den Uniformrock überzustreifen. Ein Offizier ohne Waffenrock ist ein Deserteur. Zu spät. In diesem Moment kommt der Page Keith mit den Pferden. Gibt es noch eine Chance? Jetzt oder nie. In der allgemeinen Aufregung reißt der Kronprinz ein Pferd an sich und will davongaloppieren. Doch die Offiziere machen auch diesen letzten, verzweifelten Versuch zunichte. Sie drängen Friedrich in die Scheune. Die Flucht ist gescheitert. Am damaligen Holzstadel ist noch heute eine Gedenktafel angebracht. Die Inschrift klingt angesichts der dramatischen Ereignisse zynisch: „Hier blieb auf seiner Flucht am 4./5. August 1730 Friedrich der Große dem Vaterlande erhalten.“ So kann man es auch
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