AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN
Jener Mann, den er liebt.
Wenig später wird der Verurteilte zur Richtstätte geführt. Die preußische Armee ist pünktlich; auch und gerade bei der Vollstreckung von Todesurteilen. Hans Hermann von Katte geht dem Tod ruhig und gefasst entgegen. Sein Gnadengesuch ist abgelehnt worden. Es gibt kein Entrinnen mehr. Er ist bereit. Nur noch einen Moment. Einen Moment, um Abschied zu nehmen. Die Augen des jungen Adeligen suchen die Fensterfront ab. Hier irgendwo muss der Freund warten. Die Eskorte drängt den Gefangenen weiter. Wo ist der Prinz? Da hört der zum Tode Verurteilte die vertraute Stimme: „Mon cher Katte!“, ruft der Kronprinz. Endlich kann er den Freund erkennen. Er steht am Fenster und wirft ihm mit der Hand einen Kuss zu. „Je vous demande mille pardons!“ („Ich bitte tausendmal um Verzeihung!“), ruft Friedrich. „Point de pardon, mon prince; je meurs avec mille plaisirs pour vous!“ („Nicht Verzeihung, mein Prinz; ich sterbe mit tausend Freuden für Dich!“), antwortet Katte. Diese herzergreifende Szene wird von der Nachwelt kolportiert, überliefert ist sie nicht. Mehrfach bezeugt ist hingegen der Ablauf der Hinrichtung. Major von Schack berichtete dienstlich über die Exekution an seinen Vorgesetzten, Feldmarschall Freiherrn Dubislav Gneomar von Natzmer. Leutnant von Katte sei würdig gestorben, wie es sich für einen preußischen Offizier geziemt: „Seine Présence d’Esprit bis auf die letzte Minute kann nicht genug admiriren. Seine Standhaftigkeit und Unerschrockenheit werde mein Tage nicht vergessen, und durch seine Zubereitung zum Tode habe vieles gelernet, so noch weniger zu vergessen wünsche.“
Was verbindet die beiden jungen Männer, die auf so dramatische Weise voneinander Abschied nehmen? Freundschaft? Liebe? Die Beziehung zwischen Kronprinz Friedrich und Hans Hermann von Katte hat Stoff für verschiedene literarische Werke geboten. Am bekanntesten sind wohl Theodor Fontanes „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“. Freundschaft, vielleicht sogar Liebe, Loyalität, Opferbereitschaft, Schuld, Hass, Rache – das Verhältnis zwischen Friedrich und Katte und die daraus entstandene Tragödie waren reich an großen Gefühlen. Der Kronprinz hatte eine hoch emotionale Bindung an einen anderen jungen Mann, trotz oder vielleicht gerade wegen seiner gefühlskalten Erziehung.
Ab seinem sechsten Lebensjahr wird Friedrich von einem hugenottischen Erzieher betreut. Der strenge Vater legt den Stundenplan des Sohnes von „frühstücken in sieben Minuten Zeit“ bis zur Freizeit nach fünf Uhr, in der Friedrich tun könne, „was er will, wenn es nur nicht gegen Gott ist“, akribisch genau fest. Mit zunehmendem Alter des Thronfolgers entsteht ein beklemmender Vater-Sohn-Konflikt. Friedrich Wilhelm I., der Soldatenkaiser, ist um die Zukunft Preußens besorgt. Er will – er glaubt es zu müssen – einen harten preußischen König aus seinem Sohn machen. Keine leichte Aufgabe, wie es scheint. Friedrich, so heißt es, ziehe seine Bequemlichkeit dem schonungslosen Einsatz, Musisches dem Militärischen, französischen Samt dem preußischen Wolltuch vor. Er trete keck und hochmütig auf. Sein Äußeres sei jedoch nachlässig und verweiblicht. Verdächtig ist auch, dass Friedrich Bücher liest und Flöte spielt. Alles in allem ist der Soldatenkönig mit seinem potenziellen Nachfolger absolut unzufrieden. So schreibt Friedrich Wilhelm I. im Jahr 1728 an seinen Sohn Friedrich: „… Zum Andern weiss er wohl, dass ich keinen effeminirten Kerl leiden kann, der keine menschlichen Inclinationen hat, der sich schämt, nicht reiten noch schiessen kann, und dabei malpropre an seinem Leibe, seine Haare wie ein Narr sich frisieret und nicht verschneidet, und ich Alles dieses schon tausendmal reprimadiret, aber Alles umsonst und keine Besserung in nichts ist.“
Außerdem macht der junge Prinz Schulden; eine Tatsache, die den sparsamen Vater besonders abstößt und die er seinem Sohn im Verhör penibel vorrechnen lässt. Schlagen die Gene des verschwenderischen Großvaters, Friedrich I., im Enkel durch? „Mein Vater fand Freude an prächtigen Gebäuden, großen Mengen Juwelen, Silber, Gold und äußerlicher Magnifizienz – erlauben Sie, dass ich auch mein Vergnügen habe, das hauptsächlich in einer Menge guter Truppen besteht“, sagt Friedrich Wilhelm I. bei einer Ansprache an seine Minister, die vom holländischen Gesandten Christiaan Carel Van Lintelo überliefert wurde. Der Soldatenkönig
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