AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN
früh verlieren die Generalstäbler die Geduld. Ein Kriminalbeamter wird vorgeschickt, er soll ins Zimmer Nr. 1 gehen und berichten, ob sich Redl endlich erschossen hat. Der Polizist eilt am Hotelportier vorbei ins Zimmer und findet Redl am Boden liegend. Er hat sich in den Mund geschossen. Die Entdeckung des Selbstmords muss allerdings anderen Personen überlassen werden. Am frühen Morgen wird der Hotelportier gebeten, Oberst Redl ans Telefon zu holen. Der Portier entdeckt die Leiche des Offiziers, alarmiert die Polizei, die so tut, als würde sie ihres normalen Amtes walten. Zwei Abschiedsbriefe werden gefunden. Georg Markus zitiert daraus: „Leichtsinn und Leidenschaft haben mich vernichtet. Betet für mich. Ich büße mein Irren mit dem Tode. Alfred. Post Scriptum. Es ist jetzt ¾ 2 Uhr. Ich werde jetzt sterben.“
Eine genauere Aufklärung des Falles war jedoch so nicht mehr möglich. Vorerst war Vertuschung angesagt. General Conrad von Hötzendorf informierte den Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand, der sich nicht in Wien aufhielt, in einem knappen Schreiben der Militärkanzlei: „Oberst Alfred Redl, Generalstabschef 8. Korps, hat sich heute Nacht im Hotel Klomser in Wien aus unbekannter Ursache erschossen.“
Unverfrorener kann der oberste Militär seinen obersten Vorgesetzten im Kaiserhaus nicht anlügen. Schließlich hatte Conrad von Hötzendorf den Selbstmord in Auftrag gegeben und die Enttarnung Redls inszeniert. Das wahre Ausmaß des Verrats sollte verschwiegen, der Selbstmord des Offiziers als Ende einer peinlichen sexuellen Verfehlung abgetan werden. Jahre später wird die Schuld an der mangelhaften Aufklärung des Falles wie eine heiße Kartoffel herumgereicht. Wusste die Staatsspitze vom Verrat der Aufmarsch-Pläne an die Russen? Der Leiter des Evidenzbüros, Oberst August Urba´nski von Ostrymiecz, behauptete in seinen Erinnerungen, er habe einen „schonungslosen Bericht“ verfasst, der aber von der Militärkanzlei des Thronfolgers verharmlost worden sei.
In einer dürren Meldung an die Presse bestätigte das Kriegsministerium erst zwei Tage später, Alfred Redl habe sich das Leben genommen, als man im Begriff gewesen sei, ihn wegen päderastischer Verfehlungen und Geheimnisverrats zu überführen.
Wofür brauchte Redl so viel Geld? Der aus bescheidenen, aber keineswegs armen Verhältnissen stammende Redl hatte durch Fleiß und Tüchtigkeit eine rasche und steile Karriere im Militärdienst durchlaufen. Sein Vater war Beamter bei der Staatsbahn, nachdem er aus finanziellen Gründen die Offizierslaufbahn hatte aufgeben müssen. Seine Dienstbeschreibungen waren vorzüglich. Generalstabschef Conrad von Hötzendorf notierte handschriftlich auf einer Qualifikationsliste des Jahres 1908: „Ein besonders tüchtiger Generalstabsoffizier.“ In Galizien aufgewachsen, sprach Redl drei Sprachen fließend. Seine Anwerbung durch den zaristischen Geheimdienst erfolgte wahrscheinlich schon 1901, also lange vor seiner Enttarnung. Für den Geheimnisverrat kassierte der Stabsoffizier Geld, viel Geld. Seine Einnahmen betrugen im Durchschnitt 50.000 Kronen pro Jahr. Für einen Offizier war das eine ungeheure Summe. In aller Regel hatten die schneidig uniformierten Herren sprichwörtliche Schulden „wie ein Stabsoffizier“. Redl leistete sich eine luxuriöse Wohnung in der gutbürgerlichen Wickenburggasse in Wien-Josefstadt. Und er fuhr einen teuren Daimler.
Große Summen gab der Offizier für seinen Geliebten aus. Nach dem Tod Redls wurde der Ulanen-Leutnant Stefan Horinka wegen des „Verbrechens der Unzucht wider die Natur“ vor das Wiener Garnisonsgericht gestellt und zu einer dreimonatigen Kerkerstrafe verurteilt.
Das Liebes- oder eher Sexualverhältnis der beiden hatte schon im Jahr 1908 begonnen. Stefan war damals gerade 18 Jahre alt geworden, kannte seinen „Onkel“ Alfred aber bereits seit vielen Jahren. Redl hatte den jungen „heiteren, gutmütigen, noch in Entwicklung begriffenen Charakter“ schon als Realschüler kennengelernt, über Jahre seine Ausbildung finanziert und sein Fortkommen protegiert. Stefan wurde durch Intervention Redls in die Infanterie-Kadettenschule in Wien aufgenommen. Ob der deutlich ältere Offizier schon damals ein Auge auf den „exzellenten Campagnenreiter“ geworfen hatte, lässt sich nicht mehr belegen. Absichten hatte er jedenfalls. Georg Markus zitiert in seinem Buch „Der Fall Redl“ aus den Prozessprotokollen: „Redl hat zum ersten Mal nach meiner
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