AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN
Armee.
Es war doppelter Verrat zu einem verhängnisvollen Zeitpunkt: Österreich-Ungarn steuerte, unterstützt vom Deutschen Kaiserreich, auf einen Waffengang mit dem Königreich Serbien und – alle wussten es – auf einen Krieg mit Russland zu.
Redls Verrat kostete hunderttausende österreichisch-ungarische Soldaten das Leben, die geplante rasche Niederwerfung Serbiens, die eine Voraussetzung für den Erfolg der deutschen Armeen an der Westfront war, endete in einem eineinhalb Jahre langen blutigen Ringen und mit schweren Verlusten der österreichischen Truppen. Die russischen Armeen hatte der Wiener Generalstab – auch aufgrund von Redls Desinformation – sträflich unterschätzt. Österreichische Soldaten konnten die deutschen Armeen an der Westfront nicht unterstützen, die wirksame österreichische Artillerie blieb an der Ostfront gebunden. Im Gegenteil, deutsche Verbände mussten den Österreichern gegen die Zaren-Armee zu Hilfe eilen, um einen raschen Zusammenbruch der Front in Galizien zu vermeiden.
War Redls Verrat entscheidend für die spätere Niederlage der Mittelmächte? Es ist eine historische Spekulation.
Nach der Enttarnung Redls und dem Einspalter auf der Titelseite der „Bohemia“ reagierte das Kriegsministerium zunächst gar nicht. Der Schock saß tief. Redl war nicht irgendein Offizier. Er trug die flaschengrüne Uniform der „Generalstäbler“. Die Elite der Armee war beim Fußvolk nicht sonderlich beliebt, genoss aber hohes Ansehen und zusätzliche Privilegien. Ein „Flaschengrüner“ hatte seinen Kaiser verraten. Die Umstände waren womöglich noch kompromittierender. Für den mächtigen, aber durchaus umstrittenen Chef des Generalstabs, Franz Conrad von Hötzendorf, war die Affäre politisch extrem peinlich. Ein Gerichtsprozess hätte Gelegenheit geboten, die Versäumnisse des Generalstabs bei der Auswahl und bei der Kontrolle seiner Mitarbeiter aufzurollen. Nur ein rasches Ende der Affäre konnte den Generalstabschef und seine engsten Mitarbeiter retten. Hötzendorf wurde von der Enttarnung des Obersts Redl am Rande eines noblen Essens im Grand Hotel am Wiener Ring informiert. Schockiert befahl er strengste Geheimhaltung, auch gegenüber dem Kaiser und Thronfolger Franz Ferdinand. Vier Offiziere sollten den Verräter im Hotel Klomser, das sich im ehemaligen Palais Batthyány-Strattmann (heute beherbergt das Gebäude die Redaktion der Tageszeitung „Der Standard“) in der Wiener Herrengasse befand, aufsuchen und ihn nach kurzem Verhör und Geständnis zum Selbstmord zwingen. Die Herren trafen Redl in seinem Hotelzimmer an und übergaben dem Offizier, der Zivilkleidung trug, ein Päckchen Gift. „Sie dürfen um eine Schusswaffe bitten, Herr Redl.“ Der Oberst war in Zivil aus Prag angereist – im Privatwagen mit Fahrer – und hatte seine Dienstwaffe nicht bei sich. Auch die vier Herren des Generalstabs waren waffenlos. So muss der Geheimdienstmajor Maximilian Ronge selbst ins Kriegsministerium fahren und aus seinem Panzerschrank eine geladene Browning holen. Der Revolver wird Redl überreicht, um „dem Verbrecher sodann die Möglichkeit zu geben, seinem Leben ein rasches Ende zu bereiten.“
Verbrechen und Ehrverletzungen wurden in Offizierskreisen so erledigt. Mit Beweisen konfrontiert, gestand der Oberst seinem Nachfolger im Geheimdienst, Major Ronge, „in den Jahren 1910 und 1911 fremde Staaten im Großen bedient“ zu haben. Noch im Geständnis steckte Verrat.
Tatsächlich hatte Redl schon viel früher Geheimpläne fotografiert und an den russischen Geheimdienst übergeben. Wie Robert Lévai in seiner Fallstudie für die Andrássy Gyula Universität in Budapest schreibt, stellte „die österreichische Spionageabwehr bei der Aufarbeitung des Falles fest, dass Redls Konto bei der Neuen Wiener Sparkasse seit Anfang 1907 in auffallend schneller Folge Einlagen verzeichnete, die sich von 1905 bis 1913 auf insgesamt 116.700 Kronen beliefen. Der Zeitraum und die Höhe der Einlagen wiesen daher auf länger andauernde und wichtigere Verratshandlungen hin, als Redl sie in der Nacht vor seinem Tod eingeräumt hatte.“
Die vier honorigen Herren ließen ihren Offizierskollegen allein im Hotelzimmer zurück. Mehr oder minder diskret bewachten sie den Ausgang des Hotels vom gegenüberliegenden Café „Central“ für den Rest der Nacht. Sie hoffen, einen Schuss zu hören, der das vorläufige Ende der peinlichen Affäre markieren würde. Doch es bleibt still. Gegen fünf Uhr
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