AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN
leben oder wenigstens ihr zentrales Motiv selbst erfahren haben“.
Die größte Schauspielerin ihrer Tage bleibt den Anmaßungen des Dichters ausgeliefert. Sie spielt bei einer Tournee durch die USA auch nach der ungalanten Brüskierung im Roman „Il Fuoco“ ausschließlich in Stücken D’Annunzios. Das Publikum ist mäßig begeistert.
Im Vorfeld des Ersten Weltkrieges steigert der Schriftsteller sein nationalistisches Pathos zu politischer Aktion. Er lässt sich 1898 in das italienische Parlament wählen und propagiert unermüdlich den Kriegseintritt des Königreichs Italien aufseiten der Alliierten. D’Annunzio oszilliert zwischen den gegensätzlichen politischen Lagern. Als konservativer Abgeordneter stimmt er mit den Linksradikalen und wird nach dem Krieg glühender Anhänger, gar Vorläufer des faschistischen Führers Benito Mussolini. Seinen pathetischen Propagandisten D’Annunzio hält Mussolini auf Distanz. Er überhäuft den von König Vittorio Emanuele III. – auf Vorschlag des „Duce“ – zum erblichen „Fürsten von Nevoso“ Geadelten mit grotesken Ehrungen und lässt den Dichterfürsten in seiner Villa „Vittoriale“ oberhalb des Gardasees in schwülstiger Würde erstarren.
Dort wird den Besuchern heute jener Doppeldecker Ansaldo S.V.A. 10 gezeigt, mit dem Gabriele D’Annunzio gegen Ende des Ersten Weltkriegs eine operettenhafte Aktion vollführte. Mit insgesamt elf Flugzeugen startete er in der Morgendämmerung des 9. August 1918 vom Flugfeld San Pelagio bei Padua zu einem „Husaren“-Flug nach Wien. Vier dieser leichten Aufklärungsflugzeuge mussten auf dem Weg notlanden, sieben schafften es bis nach Wien, in die k. u. k. Reichs- und Residenzstadt des Kriegsgegners. Die italienischen Piloten werfen hunderttausende Flugblätter direkt über dem Wiener Stephansdom und dem Graben ab. Die Propagandaschriften waren – wenig wirksam – in italienischer Sprache abgefasst, sodass sie kaum jemand verstehen konnte. D’Annunzio selbst hatte zur Feder gegriffen und ein patriotisches Gedicht an die Wiener verfasst. „Das Drohen der Schwinge des jungen italienischen Adlers gleicht nicht der finsteren Bronze im morgendlichen Licht. Die unbekümmerte Kühnheit wirft über Sankt Stephan und den Graben das unwiderstehliche Wort ab: Viva l’Italia!“. D’Annunzio ging mit seiner Aktion in die italienische Militärgeschichte ein, sein Flug – eigentlich war er nur Mitflieger in einem Zweisitzer, den der erfahrene Pilot Natale Palli steuerte – wurde von den italienischen Künstlern gefeiert. Die alliierte Propaganda überschlug sich in Lobeshymnen.
Die Wiener Bevölkerung beobachtete mit einer Mischung aus Respekt und Spott die fliegerische Tollkühnheit der Italiener. Die Flugblätter waren bald heiß begehrte Sammlerobjekte und Wiens Tageszeitungen berichteten ausführlich, nachdem das offizielle Pressebüro der Regierung – aus vollkommener Dummheit oder ausgefuchster Taktik – den vollen Wortlaut der Flugblätter veröffentlicht hatte.
Die Geliebte seines Lebens, Eleonora Duse, beobachtete D’Annunzios Selbstinszenierung aus der Distanz. 1921 kehrt sie – vor allem aus finanziellen Gründen – auf die Bühne zurück. Die 62-Jährige hat im Krieg mit Staatsanleihen ihr Vermögen verloren und muss wieder auftreten. Es ist aber auch eine Rückkehr in ihr Leben: „Alle Mühen bedeuten nichts, wenn man nur nicht tot ist, ehe man stirbt“. Ihre Anhänger bleiben treu. Das „Comeback“ der Duse am Turiner Theater wird zum Triumph. Eine Tournee durch amerikanische Theater ist ausverkauft. Zum Auftritt im New Yorker „Metropolitan“ kommt es nicht mehr. Die größte Schauspielerin ihrer (?) Zeit stirbt in einem Hotel in Pittsburgh vermutlich an einer Lungenentzündung. „Abreisen – schaffen – deckt mich zu!“ – So werden ihre letzten Worte überliefert.
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Olga Signorelli, Eleonora Duse. Werden – Leiden – Vollenden, Erlenbach/Zürich 1947.
Helen Sheehy, Eleonora Duse. A Biography, New York 2003.
Frances Winwar, Wingless Victory. A Biography of Gabriele D’Annunzio and Eleonora Duse, New York 1956.
Peter Demetz, Die Flugschau von Brescia, Wien 2002.
Petra Müller/Rainer Wieland (Hrsg.), Liebesbriefe berühmter Frauen, München/Zürich
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