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AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN

AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN

Titel: AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Jelinek
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Ausmusterung im Herbst 1908, unter Hinweis auf mein schlechtes Aussehen, mein Glied zu besichtigen verlangt.“ Der Oberst ließ es nicht bei einer sexuellen Nötigung bewenden. Er nutzte das mehrfache Abhängigkeitsverhältnis des jungen Soldaten und fertigte pornografische Fotografien an. Die Gerichtsakten lassen kein Detail aus: „Auch wurde Horinka in den folgenden Jahren vom Obersten in vollkommen nacktem Zustande mit steifem Glied mehrmals fotografiert, die zeitlich auseinanderfallenden Aufnahmen zeigen die verschiedenen Stadien des Erektionszustandes.“
    Stefan Horinka war nicht der erste homoerotische Partner Redls. Der Geheimdienst-Offizier pflegte ein jahrelanges Verhältnis zum Generalstabshauptmann Rudolf Meterling, das dann allerdings in die Brüche ging. Meterling wurde Jahre später in Warschau wegen „Kinderschändung“ und der Gründung eines „Homosexuellen Klubs“ verhaftet. Homosexualität war in einer militärischen Gesellschaft, in der es extreme Abhängigkeitsverhältnisse gab und in der tausende Männer monatelang in Kasernen, Garnisonen oder Kadettenschulen kaserniert waren, kein seltenes Phänomen. Offen ausgelebt durfte die Männerliebe aber keineswegs werden. Homosexualität wurde vielfach mit Kinderschändung gleichgesetzt, war tabuisiert und als Verbrechen strafbar. Die Doppelmoral galt als Staatsdoktrin. Jeder wusste, dass der jüngste Bruder von Kaiser Franz Joseph I. homosexuell war und seine Neigung kaum verhüllt im Salzburger Schloss Kleßheim auslebte. Es ging sogar so weit, dass es Offizieren der k. u. k. Armee untersagt wurde, an den Festen des Erzherzogs Ludwig Viktor teilzunehmen. Nach Salzburg war der als „Luziwuzi“ bespöttelte Habsburger von seinem großen Bruder, dem Kaiser, „strafversetzt“ worden. Der Erzherzog hatte sich im „Centralbad“ – heute als „Kaiserbründl“ bekannt – unweit der Wiener Franziskanerkirche eine Schlägerei im einschlägigen Milieu geliefert.
    Auch die Beziehung zwischen Redl und dem Ulanen-Leutnant verlief nicht konfliktfrei. Stefan Horinka wollte die Affäre beenden und ließ sich nur durch immer neue Geldgeschenke dazu motivieren, seinen Mann zu stehen. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen und brieflich dokumentierten Szenen: „Die Zulage habe ich erhalten und danke aus ganzem Herzen. Der Ton des Briefes hat mich aber sehr überrascht. Jedenfalls habe ich wieder einen schlagenden Beweis für mein Gefühl, dass Dein sogenanntes Wohlwollen und Deine uneigennützige Freundschaft auf nichts anderem basiert, als zur Befriedigung Deiner unglücklichen Leidenschaft. Du drohst mir mit Verderben, wenn ich Dir nicht zu Willen bin. Nun gut, so gehe ich lieber zugrunde, als eine bezahlte Dirne zu sein.“
    Von großer Liebe und Zuneigung zeugt dieser Brief, den Redl einen Monat vor seinem erzwungenen Selbstmord erhielt, nicht. Für den Ulanen-Leutnant war die Affäre zum mächtigen Oberst im Generalstab eine peinliche Sache geworden. Denn Stefan Horinka war keineswegs homosexuell veranlagt. Ihm ging es um Geld, Aufstiegschancen und um Beziehungen. Redl zahlte eine monatliche Apanage von 600 Kronen, nach heutigem Wert knapp 3000 Euro, dazu die Miete für seine Wohnung in der Garnisonsstadt Stockerau. Leutnant Horinka hatte einen Austro-Daimler zum Listenpreis von 12.500 Kronen geschenkt bekommen, eine ebenso teure Wohnungseinrichtung, und Redl stellte dem Ulanen auch noch zwei Pferde für 2000 Kronen in den Stall. Der junge Mann demütigte den Offizier, der die Liebe zu Männern suchte, indem er Redl auch noch seine Liebschaften mit Mädchen bezahlen ließ, inklusive der Kosten für – natürlich verbotene – Abtreibungen in darauf spezialisierten Kliniken.
    Warum niemandem im Offizierskorps, aber auch niemandem in der Evidenzstelle des Generalstabs auffiel, wie viel Geld der Oberst ausgab, bleibt ein Rätsel. Nach dem Auffliegen der Spionage-Affäre musste sich der Kommandant des Regiments beim Thronfolger rechtfertigen. Dabei hatten die zwei Offiziere regelrechte schriftliche „Vereinbarungen“ über Geldüberweisungen getroffen, und Stefan Horinka musste Redl gegenüber einen Verhaltenskodex einhalten. „Er dürfe niemals einer Frauensperson über eine Woche sich erstreckende Herberge gewähren.“
    Ob der Geliebte des Spions von dessen Landesverrat wusste? Bei den diversen Hausdurchsuchungen wurden zwar bedenkliche Schriftstücke und Notizen gefunden, ein Nachweis, dass Leutnant Horinka in den Verrat eingeweiht war, gelang

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