Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)
in ausschließlich deutscher oder nordamerikanischer Währung.
Anica spürte auf der Haut die feuchtheiße Luft und die Insekten, die voller Lebenslust in der Sonne von den Abfällen aufschwirrten; hervorgekrochen aus den dunklen Tiefen mancher Hotelbetten, dachte die Journalistin. Sie verspürte wie die meisten Menschen eine sonderbare Niedergeschlagenheit; sonderbar, weil trotz der Trägheit des Körpers der Geist unruhig wachte, als befürchte er drohendes Unheil.
An den mehrstöckigen Häusern starrten die Hülsen der zerschlagenen Neonreklamen leer herunter, Mauern und Fassaden waren übersät von Einschusslöchern. Neben der schwarzen Punktschrift der Granatlöcher fehlten trotzdem nicht völlig die einschlägigen Werbelogos der Getränke-, Zigaretten- und Modeindustrie, sondern prangten auf improvisierten Sonnenschirmen, als Ladentische dienenden Verpackungskisten und auf koloristischen Plastbeuteln.
Das lärmende Geschrei der Händler erfüllte die Luft und erinnerte Anica daran, dass sie den orientalischen Basaren hier näher war als dem künstlichen Prunk der westlichen Fußgängerzonen und Shoppingcenter. Kinder jagten sich lärmend auf den schmutzverkrusteten, fleckigen, übelriechenden Gehsteigen. In der Auslage eines Fernsehgeschäfts stand eine Reihe Bildschirme mit demselben Programm: in der bekannten amerikanischen Krimiserie muteten die serbokroatischen Dialoge der Hauptdarsteller recht befremdlich an. Von den Radioempfängern im hinteren Verkaufsraum drang auf die Straße an das Ohr der Rollerfahrerin laute Schlagermusik, die sich in nichts von den Tönen anderer europäischer Metropolen unterschied. Zwischendurch empfahl eine marktschreierische Männerstimme, ein bestimmtes deutsches Waschmittel zu benutzen und sich nur mit Zahncreme amerikanischer Herkunft das Gebiss zu pflegen. In diese polychrome City-Atmosphäre hatte sich Anica rasch eingewöhnt. Lediglich der Kraftverkehr in diesem Getümmel von Zerstörung und Chaos, aber gleichwohl ungebrochenem Lebenswillen, hatte seine Tücken.
Schlagartig wurde die im Vergleich zu den vergangenen Tagen beinahe idyllisch zu nennende Szene in eine Tragödie verwandelt. Aus heiterem Himmel schoss die serbische Artillerie wie verrückt eine Granate nach der anderen in den Straßenzug. Beißender Qualm erfüllte allmählich die Luft und ätzte der Journalistin die Lungen. Sie stellte abgehackt hustend den Roller ab in das geschlossene Portal eines Gebäudes hinter ein Schild mit der Aufschrift PSYCHIATRISCHE KLINIK.
„Verfluchte Schweinehunde!“ hörte sie einen Passanten schreien, sah, dass er sich wie alle anderen Menschen schutzsuchend an eine Häuserwand drückte. „Sie schießen sich wieder ein und ausgerechnet bei uns müssen sie anfangen!“
Anica wusste, die Artillerievorbereitung war damit jedoch bereits zu Ende gegangen. Diesmal wurde hauptsächlich mittelschwere Artillerie eingesetzt, die man nachts überall, wo es möglich war, zum Direktbeschuss in Stellung gebracht hatte. Obgleich das dumpfe Dröhnen und beklemmende Beben der Erde von nahen Abschüssen schwerer Kaliber fehlte, waren die Straßenzüge und der naheliegende Markt von Knallen und Krachen erfüllt. Das Feuer einer Batterie schien aus unmittelbarer Nähe, von einem anliegenden Stadtteil vielleicht, auf die City einzuhämmern. Es hörte sich an, als knacke jemand Riesennüsse direkt an Anicas Trommelfell.
Die Geräusche des Krieges waren im hautnahen Erleben doch sehr sonderbar, dachte die Journalistin, und so verschiedenartig. Manche klangen monoton und melancholisch wie in eine leere Blechtonne tropfendes Regenwasser. Andere tönten melodisch und skurril, gleich einem monströsen Xylophon. Dem `Wlomp, wlomp´-Stakkato der Artillerie folgte sostenuto das `Kwumm, kwumm, kwumm´ der Granatdetonationen, untermalt von dem charakteristischen `Bup, bup, bup, bup´ einer Kalaschnikow. Ganz bestimmte Geräusche aber frappierten durch das Missverhältnis von Ursache und Wirkung: Ein sirrendes Stückchen totes Eisen reichte völlig, um ein Menschenleben auszulöschen. Heute klangen alle Geräusche schrill und aggressiv; etwas Brühheißes, Tropisches lag in ihnen, wahrscheinlich weil es trotz brennender Sonne so schwülwarm war.
Einige Dutzend Granaten schlugen so nah bei Anica ein, dass jedes Mal der Boden um sie herum erzitterte. Der Rauch der Detonationen über ihr wirbelte und quirlte, als würde vom Himmel bis zur Erde ein schwarzer Brei mit dem Löffel umgerührt. Eine vor der
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