Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)
Sparkassenfiliale parkende deutsche Luxuslimousine erhielt einen Granateneinschlag, im Asphalt qualmte ein Trichter, ringsherum streckten sich bizarr verbogene Eisenstücke und verbeulte Blechteile. Für Anica war es eine Qual, den beißenden Qualm des heißen Asphalts einzuatmen. Auf der Straße rollte ein abgerissenes Rad auf sie zu. Bevor es ins Taumeln kam, kullerte es noch einige Meter, als wollte es bis zu ihr rollen, kippte jedoch vorher um, der stählerne Radkranz schepperte auf dem Straßenbelag. Dann schlug ein Volltreffer in die Hausruine, an deren Mauerfuß sich die Reporterin auf den Boden warf. Sie verspürte Druck, auch einen heftigen Schlag und vernahm ein mächtiges Dröhnen, bevor eine Last auf sie stürzte und ihr die Luft abschnitt. Steinbrocken der einstürzenden Mauer und splitterndes Holz von verkohlten Fensterrahmen hatten sie vollständig verschüttet. Schwer atmend arbeitete sie sich unter Anspannung aller Kräfte aus den Trümmern. Es gelang ihr, weil sie sich vor dem Einschlag den Kopf mit der Handtasche bedeckt hatte und die Hände oben geblieben waren. Endlich bekam sie die Hände frei, schob grimmig alles beiseite, was sie am Aufstehen hinderte. Sie erwischte sogar noch den Schulterriemen mit ihrer Handtasche. Schließlich kroch sie etwas benommen, aber heil aus ihrem steinernen Grab. Schwankend stellte sie sich auf die Füße, wischte sich den Schweiß aus Angst und Schwüle von der Stirn. Rings um sie war viel Zerstörung, aber die Granatexplosion hatte die Hauswand nach innen fallen lassen, und die Detonation war erst erfolgt, als die Journalistin schon unter einem Holzrahmen lag.
Unvermittelt kauerte sie sich wieder zu Boden, es gab keinen konkreten Grund, nur das instinktive Empfinden einer Gefahr. Sie blickte sich um und gewahrte eine Rakete, die quasi friedlich in einem Winkel des Rahmens steckte. Sie hatte das Holz durchbohrt, ohne zu explodieren; Anica hatte nur splitternde Geräusche vernommen. Vorsichtig stand sie auf, entfernte sich dann langsam, floh schließlich hastig rückwärts, ohne den Tod, der eingekapselt in der Röhre steckte, aus den entsetzten Augen zu lassen. Die Rakete war schlank, etwa einen Meter lang und sattgrün. Welch Ironie, kam der Journalistin in den Sinn, dass der Tod sich in die Farbe der Bäume, das Grün des Lebens kleidete.
Anica kam sich vor wie Blechspielzeug, das sich aufziehen lässt, damit es im Kreis herumläuft, und wenn es an einem Stuhlbein oder an einer Teppichkante hängen bleibt, es trotzdem immer weiter dieselben mechanischen Bewegungen macht. Ebenso erging es ihr. Wie eine Aufziehpuppe lief sie gegen Mauerreste, Autos und flüchtende Menschen, ehe sie ihren Roller erreichte.
Erleichtert klopfte sie sich den gröbsten Staub von ihrem Overall, schüttelte ihn aus den Haaren. Mit ihrem Taschenspiegel stellte sie verblüfft fest, dass sie wie durch ein Wunder keinen einzigen Kratzer abbekommen hatte. Verletzt war sie nicht, aber Herz und Gemüt bluteten ihr, denn sie musste feststellen, dass die Mauerfüße gesäumt waren von an die Hundert mehr oder minder verletzten Zivilisten, unter ihnen sicher zwei bis drei Dutzend Tote. So als zeigten sie sich mit ihrem grausigen Werk zufrieden, war der Granathagel abrupt abgerissen.
Die Reporterin wartete nicht auf das Eintreffen der Sanitäter und Leichenwagen, sondern kletterte auf den intakt gebliebenen Roller, ihr Herz schlug weiter wie eine ekstatisch geschlagene Bongotrommel, sie drehte den Zündschlüssel... der Motor sprang an, und sie setzte – ebenso schockiert wie grüblerisch – den Weg fort, so wie auch alle anderen Heilgebliebenen ihre Beschäftigungen wiederaufnahmen, als sei nichts geschehen. Überall wurden die Türen wieder aufgemacht, die Rollläden wieder hochgezogen, die Gaslampen wieder angezündet, und wie Ratten, die wieder ins Nest zurückkehren, fanden auch die bei der sinnlosen Flucht davongekommenen Bewohner wieder in ihre Häuser und Baracken zurück. Die, die zurückgeblieben waren, kamen stattdessen heraus, in den Händen einen Strick haltend, und wie Katzen, die nach dem Gewitter wieder aus ihren Schlupflöchern hervorkriechen, bewegten sie sich mit kleinen, vorsichtigen Schritten, um nur ja kein Geräusch zu machen, mit angehaltenem Atem, um jedes Geräusch zu hören, und mit weit aufgerissenen Augen, um die staubverdunkelte Luft durchdringen zu können. Neuerlich wurde die Waffenruhe in einem Sonderkommuniqué aus Rundfunklautsprechern verkündet, die
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