Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)
und straffe Jeans noch betont wurden, empfing sie mit ausgebreiteten Armen. Er lief ihr entgegen und zog sie für einen Augenblick an sich. Anica fühlte sich überrumpelt, zuckte jedoch mit keiner Wimper.
„Heia, Major Hausmann“, rief sie in aufgeräumtem Tonfall. „Siehst wieder aus wie das Beste, womit sich ein Frauenmagazin in Agfacolor schmücken kann. Hat Mary-Jo dein Ganzbild an der Innenseite ihrer Spindtür hängen? Wo ist sie?“
„Falls du dich für mich so hübsch gemacht hast, Anica, ist es ganz umsonst.“ Burkhart Ball schien zu spüren, wie sie sich bemühte, die kleine Intimität zu überspielen. Er musterte Anica von oben bis unten, schüttelte den Kopf ihrer verschmutzten und zerrissenen Kleidung wegen. Aus seinen hellgrauen Puppenaugen traf sie ein vorwurfsvoller Blick. Gleich darauf kicherte er, sein glattrasiertes Gesicht zerknitterte in Myriaden von Lachfältchen. Anicas Beine waren immer noch wie aus Watte, und sie hatte immerzu das Gefühl, als hätte sie etwas Wertvolles verloren. Dieses Gespür war ihr ganz sonderbar vertraut; sie musste es gerade so schon einmal empfunden haben.
„Schon gut, Anica, schon gut. Du kannst später erzählen“, schlug Burkhart Ball vor, und seine Miene glättete sich ein wenig. „Mary-Jo macht sich noch frisch. Die Ärmste! Sie hat sich ja so auf den freien Abend gefreut. Nun muss sie sich Punkt zehn wieder im Stützpunkt melden.“
„Dann geh ich nachher rüber zum Duschen“, brachte die Reporterin mühsam beherrscht heraus; ihr war eingefallen, wo ihr schon einmal derart zumute war: als sie vor Jahren, ja Jahrzehnten in England zum Hotel zurückgegangen war, nachdem sie den ersten und einzigen Hundekampf ihres Lebens gesehen hatte.
Burkhart nickte eifrig und fuhr sich mit den Fingern durch seine aschblond-gestylten, nach hinten gekämmten Haarwellen. „Mary-Jo gibt dir neue Klamotten. Übrigens: Eben kommt die Nachricht, der Granatangriff sei von einem ausgerasteten, alkoholisierten Offizier ausgelöst worden, ein einmaliger Ausrutscher.“
„Ja“, stimmte Anica zu, einigermaßen wieder gefasst, „die Transallmaschinen trudelten gleich wieder ein. Doch ohne Nachspiel wird auch diese dubiose Attacke nicht abgehen.“
Burkhart Ball nahm die Reporterin beim Arm und führte sie in die Essecke des Wohnzimmers. Die Hi-Fi-Anlage spielte leise Musical-Evergreens, über den Fenstern summte die Klimaanlage.
Burkhart hatte es verstanden, seinen Geschmack bei der Ausstattung des Wohncontainers durchzusetzen. Anica Klingor fühlte sich in das Haus eines deutschen Durchschnittsbürgers versetzt: eine Wohnlandschaft aus massiven Polstermöbeln, ausgesuchte Reproduktionen moderner Kunst an den Wänden, Bücherregale mit klassischer und neuzeitlicher Literatur, dazu einige in den Basaren zusammengefundene Antiquitäten, die ihre Bezeichnung sogar verdienten, sowie geschmackvolle Teppiche auf hellem Boden. Das glich wenig den üblichen Behausungen britischer oder amerikanischer Offiziere, die sich mit Stahlrohrmobiliar aus PX-Katalogen, etlichen Matten einheimischer Herkunft und Unmengen heimatlichen Zimmerschmucks aus Schottland oder dem mittleren Westen einrichteten, vom Dudelsack und unechten Fünf-Dollar-Indianerskalp über kitschige Stierkampfplakate mit ihren Namen bis hin zum importierten bayrischen Bierseidel, der beim Hochstemmen die Hofbräuhausmelodie klimperte. Natürlich waren zurzeit die wenigsten Offiziere in eigenem Wohnraum untergebracht oder hatten gar ihre Familien dabei, aber eine einzelne ehrgeizige Fliegermajorin konnte Uncle Sam schlecht zusammen mit dem patriotischen Mannsvolk kasernieren.
„Kommen noch mehr Gäste?“ erkundigte sich Anica mit einem Blick über den für neun Personen gedeckten Tisch.
Burkhart rückte Besteck und Servietten zurecht; er gab den perfekten Hausmann ab. „Ach...“, entfuhr es ihm, „habe ich vergessen dir zu sagen, dass Colonel Sparks kommt nebst Gattin und befreundetem Ehepaar? Du weißt doch – er ist in Mostar stationiert.“
„Wo es hübsch ruhig ist“, sagte Anica. Sie erinnerte sich, den Sparks schon einmal begegnet zu sein. Er war ein unscheinbarer hagerer Public-Relations-Officer mit einer etwas dicklichen, stämmigen Frau, die im Auftrag der UNO irgendwo als Sprachlehrerin fungierte. „Und?“ fragte Anica. Burkhart Ball griente. Er bot ihr eine Zigarette aus einem Goldetui an. „Jetzt nicht“, war ihre Antwort. Sie rauchte so gut wie gar nicht mehr, gab ihm freilich Feuer mit
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