Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)
schiitischer Terrorist!“ Er stieß hart mit dem Fuß in den Unterleib seines Opfers. „Gib zu, dass du es warst!“
„Du wirst getötet werden“, sagte der Verletzte beherrscht. Er war nicht mehr jung, und den unter seinem durchnässten Wollhemd sich abzeichnenden Rippen und der asketischen Muskulatur sah Anica an, dass er Entbehrung und schwere Arbeit gewöhnt war. Von seiner Physiognomie, den Bartstoppeln und dem kurzgeschorenen Haar konnte sie so wenig wie die Umstehenden auf seine Religion oder politische Überzeugung schließen.
„Irrtum“, schrie der Hauptmann. „Dich werde ich töten, und zwar auf der Stelle. Außer, du nennst die Namen der Bombenleger; dann lasse ich dich verbinden.“
Der Mann am Boden blickte an dem Offizier vorbei in den Nachthimmel, als er sagte: „Man wird dich töten. Eines Tages.“
Der Hauptmann kniff die Augenlider zusammen und zog mit dieser ihm eigenen Umständlichkeit seine Faustwaffe, eine schwere russische Armeepistole, die mit einer Chromkette an das Koppel gebunden war. „Sehen Sie sich an, wie unverschämt der Kerl ist, Madam“, sagte er zu der Reporterin, und sein enger Blick bekam einen bösartigen Ausdruck; er wirkte nicht mehr jugendlich, attraktiv, seine gebogene Nase zitterte. „Machen Sie ruhig Bilder davon. Die anderen müssen abgeschreckt werden. Niemand stirbt gerne so, wie dieser Renegat hier sterben wird. Ich werde es ganz langsam machen, damit Sie es in aller Ruhe filmen können.“
Anica schnürte es die Kehle zu, heiß spürte sie den Blutdruck hochschießen vor Wut, Entrüstung, Hass. Diese Szene erinnerte sie an längst überwunden geglaubte Gräuel des an gleicher Stelle tobenden zweiten Weltkriegs oder an Bilder aus Indochina, die vor drei Jahrzehnten auf preisgekrönten Presseaufnahmen festgehalten worden waren. Die anwesenden Fotografen knipsten denn auch drauflos, als wolle jeder den Pulitzerpreis für sich gewinnen: Wie der Hauptmann stelzbeinig, aber mit routiniertem Handgriff die Pistole durchlud, wie er den schlaksigen Arm hob und streckte, anlegte und die Waffe auf den Verletzten gerichtet hielt, wie er sorgsam und etwas schwerfällig zielte und dabei das linke Auge zukniff, wie er kaltblütig, ruhig den Abzugshebel durchzog, wie er den wehrlos am Boden Liegenden zuerst in die Brust, dann in den Hals und zuletzt in den Kopf schoss, wie er sich nach jedem Schuss mit Blicken vergewisserte, ob auch jede einzelne Szene auf Film und Foto festgehalten wurde. Und wie er schließlich gleichmütig das Magazin entnahm, um Patronen aufzufüllen.
Entsetzlich, dachte Anica, jede einzelne Phase der Mordtat als Augenzeuge zu verfolgen, noch entsetzlicher, sie kaltblütig mit Kameras aufzunehmen, um eine professionelle Einstellung und Aufnahme zu erreichen.
Die Journalistin empfand bei jeder Bewegung des Hauptmanns Gedanken des Eingreifenwollens, des Widerstandes und endlich der Ohnmacht, spürte bei jedem Schuss einen Stich ins Herz. Aber sie war wie gelähmt, vermochte die Kamera nicht vom Auge abzusetzen, nicht den Auslöser loszulassen, den Blick nicht von der Szene zu trennen. Nachdem der Hauptmann den letzten Schuss abgegeben hatte, sein Opfer schmerzverkrümmt regungslos dalag, stieg brennendes Schamgefühl in der Journalistin auf.
Die anderen Reporter kehrten bereits zu den Hütten zurück, da erst hing sich Anica die Kamera über die Schulter. Bedrückende Stille beherrschte nun die düstere Flusslandschaft.
„Look here, Madam“, sagte der Hauptmann stoisch, „so sind diese Kerle, sterben ohne zu klagen. Fanatiker sind das. Terroristen, Partisanen, denen Recht geschieht. Einmal verhörte ich einen, der schon erblindet war, aber gleichwohl ständig versuchte, mich anzuspucken. Hoffentlich sind Ihre Aufnahmen gelungen. Ob das Licht ausgereicht hat?“
„Bestimmt“, entgegnete sie beherrscht. „Ich bin sehr froh, dass Sie mir Gelegenheit zum Filmen gegeben haben.“ Sie war es gewohnt, sich zu beherrschen, und zweifelte nicht an der Beweiskraft der Bilder, die auch zeigen würden, wie der Verwundete vor den tödlichen Schüssen seine zusammengelegten Hände mühselig an Mund, Brust und Schultern führte.
Der Offizier lächelte, ein wenig steif. „Ich habe etwas für Sie, äh, die Medien übrig“, sagte er, die schmalen Augen zu Boden schlagend. „Weniger für unsere eigenen Reporter, die können nicht so viel. Doch ihr Ausländer macht tolle Magazine mit vielen schönen Bildern. Ich bin schon einmal auf einem Foto von
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