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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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auf die Soldaten einschreien, ihre Kinder wimmerten. Sie sah die Soldaten des Hauptmanns mit ihren dumpf aufkrachenden Gewehrkolben auf die Leute einprügeln. Einige schützten sich mit vor den Kopf gehaltenen Armen, andere lagen auf dem Rücken, die Beine abwehrend angewinkelt, manche reglos zusammengekrümmt, ohnmächtig. Einen der Soldaten, einen jungen Mann mit Knollennase und offensichtlich mit Henna eingefärbtem Bart, sah Anica mit dem Bajonett hantieren, sich bücken, und sie traute ihren Augen nicht: Der unmenschliche Kerl gefiel sich wahrhaftig darin, sich stolz mit dem gerade abgehackten Kopf seines Opfers ablichten zu lassen.
    Als die Reporterin die Kamera zur Hand nahm, hinderte sie der Offizier daran, indem er das Objektiv herunterdrückte und mit hochgezogenen Augenbrauen den Kopf schüttelte. Dass sie die Kleinstkamera in ihrer Handtasche mit frischem Tape laufen ließ, bemerkte er nicht.
    Die Nacht war mondlos, schwarz, und nur der weiße Schein der Lichtkegel aus den Stablampen hob immer wieder entsetzte, verzweifelte Gesichter und die auf sie herabsausenden Gewehrkolben geisterhaft aus der Dunkelheit hervor, die lackierten Stahlhelme und die zum Schlag erhobenen Soldatenhände. Die Szenerie hatte etwas Gespenstisches, Unwirkliches, eine grausige Licht- und Schattentragödie spielte sich ab, und das grell gellende Wehgeschrei der gefolterten Menschen wirkte in Anicas Ohren schmerzhaft, alarmierend und gleichzeitig blockend, betäubend.
    Über das Funkgerät befahl der Hauptmann die Lastwagen herbei. Unter Anschreien und Prügel trieben die Uniformierten die Menschen auf die Pritschen. Aus den Führerhäusern ließen sie die Lichtkegel ihrer Stablampen tanzen über das, was sie zurückließen: zerbrochenen Hausrat, zertretene Lebensmittel, zerstörte Hütten und Zelte, dazu eine Vielzahl Kleiderreste und -fetzen, sowie zerschundene Schwerverletzte und auch Tote.
    Die unvermittelt eintretende spukhafte Stille lähmte Anica. Nur die Wellen des Flusses klatschten rhythmisch an die Ufersteine. Hoch über der Schlucht stiegen schwache Dunstschleier auf, die Sterne erblassten darunter, ihr Flackern am Horizont über dem Hochkamm des Gebirgsmassivs ließ nach, und der eben noch pechschwarze Hintergrund des Himmels, auf dem sie geleuchtet hatten wie Diamanten auf dunkler Rohseide, hellte sich ein wenig auf, weil die fahle Scheibe des Dreiviertelmondes hinter dem Berg auftauchte.
    Dies- und jenseits des Wassers lag die Stadt im Dunkel verloschener Neonlichter. Nur an den Spitzen der höchsten Gebäude glühten rote Signallampen, die die Anflugschneise für das Aerodrom Vojkovic markierten. Die Luft wurde plötzlich empfindlich kühl, den Morgen ankündigend, aus der Ferne waren sich nähernde Geräusche einer Flugmaschine zu vernehmen.
Anica stieg über das Geröll zu den verwüsteten Behausungen. Die Soldaten hatten die Bretterwände auseinandergerissen, unter ihren Füßen knirschte zerschlagenes Geschirr. Eine gefleckte Katze flüchtete vor ihr, rettete sich mit einem gewagten Sprung über einen Uferfelsen. Asche aus umgestürzten Kochöfen lag verstreut über Schlafmatten und Tüchern. Wie betäubt wendete sich die Journalistin ab. Sie saugte die scharfübelriechende Luft ein, stieß den Atem heftig aus und schloss für einige Augenblicke die Augen. Ekel überkam sie und ließ sie einen Schritt schneller gehen. Am plätschernden Ufer der Miljacka verhielt sie, wechselte mechanisch die Bandkassetten ihrer Kameras.
    Anica war in dieses Land gekommen, nach drei Wochen Aufenthalt im Konfliktgebiet Afghanistan, als die UN Bosnien-Herzegowina überstürzt als eigenständigen Staat anerkannt hatten. Sie wusste aus Erfahrung: Überall dort auf der Welt, wo sie ihre Interessen und ihren Einfluss berührt sahen, schufen die Mächtigen Fakten. Damit fanden sich in der Regel die Betroffenen natürlich nicht ab, sondern setzten sich dagegen zur Wehr, stießen auf Gegendruck, erlitten erneute Pression, derer sie sich letztendlich mit Waffengewalt zu entledigen suchten. Was Anica hier mit dem Objektiv registrierte, war die Niederlage der bodenständigen Menschen, die als Vielvölkergemisch über Jahrzehnte, ja Jahrhunderte leidlich gut zusammen gelebt hatten. Das Widersprüchlichste in dieser Situation sah die Journalistin darin, dass jede Volksgruppe, jede Religionsgemeinschaft den Sieg für sich reklamieren wollte. Niemand mochte sich damit abfinden, als Unterlegener zu gelten und behandelt zu werden. Deshalb bediente

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