African Queen
Die Wetterwechsel sind legendär. Als Livingstone den See 1859 entdeckte, nannte er ihn «See der Sterne», weil er so ruhig und glatt war, dass sich der Nachthimmel in ihm spiegelte. Ein bisschen später nannte er ihn «See der Stürme». Fünf Meter hohe Wellen, manchmal auch zehn Meter hohe, macht dieses Binnengewässer mit links. Und tuuuuuuut, wir laufen aus.
Auf dem Unterdeck der Dritte-Klasse-Passagiere geht es Quadratmeter für Quadratmeter genauso zu wie auf dem Beiboot vorhin, auf dem Oberdeck schläft die Zweite Klasse auf Luftmatratzen. Wir finden unsere Erste-Klasse-Kabine im Zwischendeck. Ein schwuler, einäugiger Steward führt uns hin. Er ist betrunken. Der Typ, der uns etwas später das Ticket verkauft, ist auch betrunken, aber die Kabine geht okay. Zwei schmale Betten, ein Tisch, ein Stuhl und nur eine Kakerlake. Und bis auf die Kakerlake ist alles angeschraubt. Ist doch fabelhaft hier. Wir schlucken Lisas Tabletten gegen Seekrankheit mit jeweils einer Dose Bier und gehen noch mal aufs Oberdeck, um dem Schauspiel beizuwohnen, wie die paar Funzeln von Nkhotakota in der Nacht verschwinden. Dabei lernen wir zwei schottische Studenten kennen, beide so um die zwanzig. Außer dass sie jung sind und keinen Bauch haben, sind sie stinklangweilig. Darum redet nur Lisa mit ihnen, ich sitze ein paar Meter abseits auf einer Bank und denke gar nichts. Als sie wieder bei mir ist, frage ich Lisa nach der Uhrzeit.
«Viertel drei», sagt die Wienerin.
«Also Viertel nach zwei?»
«In etwa.»
«Dann trink mit mir auf den Geburtstag meiner Tochter.»
«Wie alt wird sie?»
«So alt wie du.»
Lisa verliert ihr Lächeln. Sie wendet sich ab und sieht ein bisschen verzweifelt in die Dunkelheit. Da haben wir den Salat. Wir arbeiten an dem Thema Altersunterschied seit unserem ersten Kuss, und wir haben darüber zwar noch nicht promoviert, aber zumindest das Wichtigste ist geklärt.
«Und das wäre?», fragt sie.
«Bei uns ist es definitiv keine Vater-Tochter-Beziehung.»
«Aber die anderen denken das.»
«Es ist mir scheißegal, was die anderen denken.»
«Mir nicht.»
Ein Vierteljahrhundert Erfahrung trennt uns. Wäre sie so alt wie ich, interessierte sich auch Lisa weniger dafür, wie sie wirkt, und mehr dafür, wie sie ist, und würde im besten Fall freier und im schlechtesten Fall asozialer sein, aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg, und wenn sie endlich da angekommen ist, wo ich jetzt bin, werde ich wahrscheinlich tot sein. Oder ein Tattergreis, der nicht mehr weiß, wie sie heißt. Der Altersunterschied ist das schwarze Loch unserer Beziehung, und immer wenn wir hineinsehen, fällt uns nichts mehr ein, außer die Botschaft der Hormone. Wir sind verliebt. Das macht die Sache zwingend. Was immer uns da draußen in der Zukunft an offenen Messern erwartet, es ist unser Weg.
Eine Reise, zwei Abenteuer. Afrika und die Liebe. Was ist gefährlicher? Bisher war es immer die Liebe. Dschungel, Bestien, Räuberbanden und marodierende Soldaten haben mich auf Reisen nicht einmal angekratzt. Das habe ich von meinem Opa. Er war in zwei Frankreichfeldzügen als einfacher Soldat, also als Kanonenfutter unterwegs, aber er hat die Kanonen hungern lassen und ist ganz und gar unverletzt wieder heimgekommen. Nicht mal einen Streifschuss konnte er vorweisen. Lieber Vorschuss als Streifschuss ist meine Variation unseres Familienglücks. Nur Amors Pfeile fliegen nicht an mir vorbei, Gott weiß warum. Mein Herz ist so zerschossen, dass es der Zielscheibe eines Frauen-Bogenschützenvereins gleicht. Ergebnis: Ich traue der Liebe nicht, wenn sie mich umarmt, weil ich das Messer fürchte, das sie dabei für gewöhnlich in der Hand hält. In Herzen kann man auch durch den Rücken stechen. Immer und immer wieder. Und das ist mein Problem. Mediziner nennen es das Schmerzgedächtnis. Es macht mir Angst, und Angst ist kein guter Liebhaber. Die Scheißwellen des Malawisees sind mir dagegen relativ egal.
Der «See der Stürme» macht ohnehin auf halblang, also nur fünf Meter hohe Wellenberge, und immer wenn die Wolken aufreißen und den Vollmond freigeben, erhellt er das schwarze Wogen um uns herum bis zum Horizont, und langsam wundert es mich, dass Lisa so cool bleibt. Sie hat Flugangst, aber keine Schiffsangst. Warum? Sie antwortet mit einer Gegenfrage.
«Weißt du, worin für mich der wesentliche Unterschied zwischen einem Flugzeugabsturz und einem Schiffsuntergang liegt?»
«Nein.»
«Ich kann nicht fliegen, aber ich kann
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