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African Queen

African Queen

Titel: African Queen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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Affenbrotbaum. Immer. Auch jetzt.
    Lisa nimmt meine Hand und sagt nichts. Ich schließe mich ihrem Schweigen an, obwohl es mich drängt, ihr zum zweiten Mal dafür zu danken, dass sie mich nach Afrika gebracht hat. Ich hatte mich nicht nur dagegen gewehrt, sondern auch einiges dafür getan, sie von der Reise abzuhalten. Weil ich dachte, dass ich überreist bin. Weil ich glaubte, nicht mehr neugierig zu sein. Und weil mir dieser Kontinent am Arsch vorbeiging. Sie war stärker als ich, und jetzt freue ich mich über meine Schwäche, denn eine Fahrt durch das ländliche Afrika um diese Uhrzeit gehört zur Champions League der Reiseeindrücke. Das wird mir schlagartig klar. Das ist dasselbe wie eine Wanderung im Himalaya oder eine Nacht unter den Sternen der Wüste. Das ist das ganz große Kino der Seele. Die Erinnerung der Gene. Die Menschheit kommt von hier. Unter diesem Himmel lernten wir, aufrecht zu gehen. Mama Afrika trägt zum Sonnenuntergang ihr ewiges Cocktailgewand. Und was den Unterschied betrifft, das allein oder zu zweit zu genießen: Ein alter indischer Freund sagte einmal zu mir, dass 1 und 1 in der Regel 2 ergibt, aber manchmal ist 1 und 1 auch 11, und dann handelt es sich nicht um eine Addition, sondern um eine Transformation des Genusses. Ich lasse Lisas Hand los, um eine Dose zu öffnen. Ich gebe sie ihr. Unter all den Möglichkeiten, sich wortlos zu bedanken, gilt ein kühles Bier nicht als die schlechteste.

    Sechs Stunden später ist die Nacht nur noch schwarz. Wolken schlucken das Licht der Sterne. Es ist ein Hafen ohne Lampen und Laternen. Nur die «Ilala» ist beleuchtet, aber sie ankert zweihundert Meter vom Ufer entfernt. Einen Anlegesteg gibt es nicht. Die Schiffssirene mahnt zum Aufbruch, und um uns herum erheben sich Menschen wie Geister. Sie schnappen sich ihre Körbe, Säcke, Koffer, Käfige und Kinder und rennen zum Wasser. Wir rennen mit, aber werden von einem Mann abgefangen, der uns einen Einbaum anbietet. «Lasst euer Gepäck nicht los», ruft uns der Mann hinterher, als wir mit vier oder fünf anderen Weißen in die Nussschale springen, und jeder hat Angst um seinen Laptop, sein Geld und seinen Reisepass, denn es schaukelt bedenklich. Neben uns waten Afrikaner durch das Wasser, jetzt mit ihrem Gepäck auf den Köpfen. Zwei Beiboote der «Ilala» rasen herbei und halten zehn Meter vor dem Ufer, um die Leute aufzunehmen. Wenn alles gutgeht, werden dabei die großen Passagiere bis zur Hüfte und die kleineren bis unter die Achselhöhlen nass. Wir klettern inmitten des Gedränges von dem Einbaum in eines der Boote und verlieren auf der Stelle was. Es ist nichts Materielles, nur Kulturelles, wir verlieren ein Stück Zivilisation. Mit Rücksichtnahme kommt hier niemand aufs Boot. Mit Höflichkeit findet hier keiner einen Platz. Manieren sind in Afrika Quatsch. Frauen quetschen, Männer schimpfen, ein Kind setzt sich auf meine Gitarre. Um die sorge ich mich auch. Und ich sorge mich um Lisa, aber Lisa hat es ganz gut im Griff, obwohl ihr Rucksack riesig ist. Sie sorgt sich nur um mich. Das ist nicht gut. Es sollte sich immer nur einer sorgen und einer nicht. Geschafft. Wir hocken irgendwie, und ein bisschen auch auf irgendwem, in dem Beiboot, und es zischt ab. Wir nähern uns der «Ilala». Dabei wird sie größer und rostiger. Wie zum Teufel kommen wir auf das Schiff? Mit Strickleitern? Nein, die Leitern sind aus Eisen. Sobald das Beiboot an ihnen angelegt hat, wollen alle mit Kind und Kegel gleichzeitig hoch. Ich mache dabei keine gute Figur, ich bin definitiv ein Anlegesteg-Typ. Trotzdem: Wir sind auf dem Schiff.
    Die «Ilala» wurde 1949 in Schottland gebaut und in achttausend Einzelteilen nach Mosambik verschifft, von dort ging es mit der Bahn weiter, und am Malawisee hat man sie wieder zusammengeschraubt. Sie ist 52 Meter lang, 620 Tonnen schwer und kann 365 Passagiere und hundert Tonnen Fracht transportieren. Wenn es unbedingt sein muss, transportiert sie auch mehr. Und noch etwas:
Die «Ilala» entspricht nicht den internationalen Passagiertransportbestimmungen.
Die «Ilala» ist oft kaputt.
Die «Ilala» ist schon mehrfach gesunken.
    Aber all das ist unnützes Wissen für Lisa, darum erzähle ich es ihr nicht. Ich behalte auch für mich, dass vor gerade mal einer Woche in Uganda ein ähnliches Schiff gekentert ist. Von den dreihundert Passagieren konnte man zwanzig lebend aus dem Viktoriasee ziehen, der Rest ernährt derzeit die Fische. Und der Malawisee ist noch unberechenbarer.

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