African Queen
irgendeine Ecke in Afrika. Natürlich ist das gemein, ich meine, gemein vom Leben. Erst unterschrieb sie den Vertrag, dann kam ich. Sie musste sich entscheiden, aber konnte es nicht, darum entschied sie sich nur halb oder, genauer, ein Viertel. Die Lodge zum Schnuppern, nicht zum Bleiben. Und ich musste mich auch entscheiden und konnte es nicht und fuhr mit. Jetzt sind wir da und begrüßen Collin mit Handschlag und Rose mit Wangenkuss, und jeder Meter, den wir nun mit ihnen gehen, ist wie ein Traum-Striptease, wie die Entblätterung von Visionen, und darunter kommt eine nackte Wirklichkeit zum Vorschein, die, wie Rose vor Tagen bei Don Brioni sagte, noch schöner ist als die Fotos auf der Homepage. Collin führt uns zu einem anderen Strand. Der Sand ist so weiß wie Papier, das Wasser so türkis wie der gleichnamige Edelstein, und auf den Vulkansteinminaretten, die hier den See schmücken, stehen große Reiher, schlank, elegant und hundertprozent stressfrei, was für den Frieden des Ortes spricht. Durch den Busch, der den Strand begrenzt, schlängelt sich ein Pfad zu Lisas Hütte.
Auch von ihr spricht sie seit drei Monaten. Die Grashütte des neuen Lebens. Der Palast der Genügsamkeit. Einfach, aber sauber, klein, aber mit Terrasse, und das einzige Möbelstück ist ein Bett mit Platz für drei, also ideal für zwei, mit einem weißen Moskitonetz, das bis auf den Boden fällt und das Bett zu einem Raum im Raum macht, zu einem Séparée in der Hütte. Collin und Rose lassen uns für die paar Minuten allein, die es braucht, um anzukommen. Wir stehen auf der Terrasse und sehen in den Busch. Er ist grün, aber nicht sattgrün, er wartet auf den Regen. Durch die Bäume schimmert der See, und gleich links von uns ist ein Bambuswäldchen, vor dem ein kleiner Affe mit riesigen schwarzen Augen sitzt und uns beobachtet.
Ich spüre es auch so, ich brauche mich nicht umzudrehen. Ich tue es trotzdem und blicke in ein total verzweifeltes Gesicht. «Was ist los?», frage ich.
«Willst du es wirklich wissen?»
Eigentlich nicht. Ich weiß es sowieso. Lisa ist wie ein offenes Buch für mich. Aus ihrem Mund hört es sich folgendermaßen an:
«Es ist mein Fehler. Ich hab’s verschissen.»
Was sie meint: Der Fehler bin ich. Ihre Entscheidung für mich hat ihr die Chance genommen, hier ein Jahr zu bleiben oder für immer und ewig. Ich erinnere mich noch genau an diesen Vormittag, an dem sie Collin mitteilte, dass sie den Mann ihres Lebens getroffen hat, den Mann, mit dem sie leben will, und dass sie deshalb nicht so einfach auf Nimmerwiedersehen im Busch verschwinden, sondern nur die drei Monate der Hochsaison kommen kann. Und ich weiß genau, was gerade passiert. Von jetzt an wird es Lisa nur noch darum gehen, doch länger zu bleiben. Von jetzt an bin ich ihr Feind.
Aber schon eine halbe Stunde später schickt Gott eine große schwarze Rauchwolke, um mir zu helfen. Jedenfalls sieht es wie eine Rauchwolke aus, was da über dem See aufsteigt und vom Wind zu uns getrieben wird. Wir sind gerade mit einer Frau unterwegs, die von Collin beauftragt wurde, uns alles von der Lodge zu zeigen. Sie heißt Mama. Und Mama sagt:
«No smoke. Kungo!»
Wissenschaftlicher Name: Chironomidae. Besser bekannt als Zuck- oder Tanzmücke. Die Mücken steigen in Schwärmen bis zu hundert Meter hoch, um sich zu paaren. Die Männchen finden ihre Liebste, indem sie heftig mit den Flügeln schlagen. Dabei entsteht ein Ton, ein Summen, sie singen sozusagen mit den Flügeln in einer artspezifischen Frequenz, von der sich die Weibchen derselben Art angezogen fühlen. Die Evolution hat den männlichen Zuckmücken Genitalzangen spendiert, mit denen schnappen sie sich die Süße und beginnen mit der Begattung noch in der Luft. Zum Höhepunkt kommt es erst auf dem Boden. Diese große schwarze Rauchwolke ist also eine Mückenschwarmorgie, und der Wind treibt sie recht flott direkt auf die Lodge zu. Wir stehen mit Mama am Strand, wenig später stehen wir mit ihr an der Buschgrenze, und noch mal wenig später im Busch, aber es gibt keine Fluchtmöglichkeit. Plötzlich sind sie da. Überall. In den Augen, in der Nase, im Mund, in den Haaren, auf den Händen, auf Hemd und Hose, zwischen Flipflops und Fußsohlen – überall kopulieren zehn Millimeter große, potthässliche Insekten. Sie verdunkeln den Tag. Kungo hat die Lodge verschluckt. Und wird sie morgen wieder freigeben. Länger leben die Männchen nicht. Ein Massensterben bereits jetzt. Der Boden ist mit entweder
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