African Queen
für gewöhnlich ist die nächste Welle stärker als die zuvor. Als wir das Krankenhaus in Arusha erreichen, bin ich gerade in einem Wellental. Das Fieber ist gesunken, die Knochen klappern nicht mehr ganz so laut, allerdings bin ich so schlapp wie ein Autoreifen, aus dem alle Luft entwichen ist. Am liebsten hätte ich mich vor dem Arzt auf den Boden gelegt, statt mich neben ihn zu setzen. Das Krankenhaus ist ganz in Ordnung. Es sieht nicht anders aus als eines bei uns. Nur das Personal ist netter. Auch dieser Arzt beeindruckt mich mit seiner Freundlichkeit, Herzlichkeit, Anteilnahme und seiner durchweg positiven Ausstrahlung. «Sie schwitzen, mein Freund», sagt er. «Ja», sage ich. Dann misst er meinen Blutdruck und wundert sich. «Können Sie noch gehen?», fragt er mich. «Weiß ich nicht.» Er schickt mich in einen anderen Raum zur Blutabnahme. Ein schwarzer Engel in Schwesternkleidung schiebt mir unendlich sanft eine große Spritze in die Vene, um mir eine beachtliche Menge Blut abzuzapfen, zwei dürre alte Massai schauen durch die offene Tür neugierig zu. Ich zeige ihnen, was ein weißer Mann aushalten kann, und nachdem der wahnsinnig nette Doktor das Ergebnis der Blutuntersuchung in den Händen hält, sagt er etwas Merkwürdiges.
«Sie haben keine Malaria, mein Freund. Aber vielleicht haben Sie doch eine Malaria.»
Wie meint er das? Er meint, sie hätten vielleicht zu wenig Blut abgezapft. Ja, wie viel will er denn? Einen Eimer voll, damit er seinen Kopf reinstecken kann, um nach den Erregern zu spähen? Das ist keine Schulmedizin. Die würde sagen, dass Malaria nur während eines akuten Fieberschubs einwandfrei im Blut festzustellen ist. Der gute Doktor rät mir, jetzt erst mal nichts zu tun, aber falls sich das hohe Fieber wieder einstellen sollte, sofort zu den Malariatabletten zu greifen. Zum Abschied reicht er mir die Hand. Sie reagiert enttäuscht und seine Augen auch. Ich habe ihm kein Trinkgeld gegeben. Nicht aus Gemeinheit. Nicht weil ich unzufrieden bin. Und auch nicht, weil ich grundsätzlich etwas gegen Trinkgelder habe. Ich fühle mich einfach nur zu schwach, um in meine Tasche zu greifen, zu schwach, um mich für einen Betrag zu entscheiden, zu schwach, um ihm das Geld angemessen diskret zu geben, zu schwach, um dabei nicht enttäuscht über die Motive seiner Herzlichkeit zu wirken, zu schwach für diesen ganzen Bakschisch-Scheiß.
Die Strecke von Arusha bis Moshi ist normalerweise in eineinhalb Stunden zu machen, aber wir werden heute länger brauchen, denn es geht im Stop-and-go von Straßensperre zu Straßensperre voran. Inzwischen ist bekannt, dass die Opposition zwar landesweit verloren, aber in dieser Region gewonnen hat. Damit haben wirklich alle einen Grund, sauer zu sein. Die Anhänger der Regierungspartei, weil vor Ort ab sofort ihre Gegner die Macht, die guten Jobs und das Geld haben, und die Oppositionellen sind wütend, weil ihr Ex-Priester nicht Präsident geworden ist. An allen Ecken, an allen Kreuzungen, im Grunde alle paar Meter vibrieren zumeist junge Männer in großen Gruppen, um entweder laut Parolen zu skandieren oder leise in der Dunkelheit zu lauern. Diese Gruppen sind keine Ansammlung von Individuen mehr, die Menschen sind zu einem amorphen Wesen verschmolzen, das hundert und mehr Arme, Beine und Köpfe hat. Der Gruppenkörper ist fähig, sich jederzeit zu verändern. Rund zu werden, viereckig, Beulen zu bekommen oder sich zu einem Rammbock zu formen. Es braucht nur einer loszulaufen, und alle laufen hinterher, es braucht nur einer zuzuschlagen, und alle Fäuste machen mit, es braucht nur einer einen Stein aufzuheben, und alle bücken sich. Erhellt werden die Szenen von spärlicher Straßenbeleuchtung, privaten Öllampen, Feuern am Wegesrand und Feuern in Mülltonnen. Je näher wir Moshi kommen, desto wütender wird die Straße, jetzt hören wir auch Hubschrauber über uns. Dazu setzt der nächste Fieberschub ein, die nächste Malariawelle kommt, und dieses Mal fühlt es sich wie die erste echte Killerwelle an.
Sobald wir im Hotel sind, misst Lisa Fieber bei mir, und es sind nun über vierzig Grad. Endlich werfe ich die Malariatabletten ein, vier Stück auf einmal, denn so wird es gemacht. Drei Tage lang jeweils vier «Malarone», danach ist der gröbste Spuk in der Regel vorbei. Sie wirken noch in derselben Nacht. Am Morgen erwache ich zwar klatschnass, und auch die Bettlaken kann man auswringen, aber die Temperatur ist auf achtunddreißig und ein paar
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