African Queen
Zerquetschte runtergegangen. Putzmunter ist was anderes, aber ich fühle mich kräftig genug für die Weiterreise zum «Aga Khan Hospital». Denn noch ist es ja nicht amtlich, ob ich wirklich Malaria habe, und ich wüsste das gern und Lisa auch. Wir brauchen eine Stunde mit dem Taxi, zwei Stunden mit dem Flugzeug und dann noch mal eine Stunde Taxifahrt, bevor wir das beste Krankenhaus von ganz Ostafrika betreten. Damit sind wir mehr oder weniger nebenbei auch in Nairobi und damit in Kenia angelangt.
Hier sind nur Profis unterwegs. Die Ärzte, Schwestern, Pfleger und das Verwaltungspersonal des Aga-Khan-Krankenhauses strahlen Kompetenz und Gelassenheit aus. Und auch sie sind scheißfreundlich. Das freut mich, denn ich sehe darin den Beweis, dass Professionalität und Herzlichkeit sich nicht zwingend ausschließen. Der Arzt, den man mir zuteilt, dürfte so Mitte dreißig sein, und er ist, wenn ich es recht bedenke, der erste Mann, den ich auf dieser Reise treffe, der dem Afrikabild von Nollywood entspricht: 1. jung, 2. attraktiv, 3. modern, 4. erfolgreich, 5. lässig, 6. Dreitagebart, 7. gutes Englisch. Er untersucht mich wie sein Kollege in Tansania, aber er macht noch ein paar Checks zusätzlich. Er leuchtet mir, zum Beispiel, in die Augen, um einen Blick auf meine Iris und meine Pupillen zu werfen. Er lacht ein bisschen und sagt «aha». Mehr nicht, er geht nicht weiter darauf ein. Mir wird ein bisschen mulmig.
«Was haben Sie gesehen, Doktor?»
«Erfahrungen.»
Erfahrung heißt auf Englisch «experience». Jimi Hendrix hat eines seiner Alben «Are You Experienced» genannt. Gottes bester Gitarrist meinte LSD damit. Ich habe etwa mit zwanzig aufgehört, LSD zu nehmen. Und das kann man nach fast vierzig Jahren noch immer in meinen Augen sehen? Starkes Stück. Oder sah der Doktor das Kokain, mit dem ich vor zehn Jahren Schluss gemacht habe, oder das Haschisch, das ich vor zwei Wochen rauchte, oder den Alkohol von vorvorgestern. Oder war es vorvorvorgestern? Auf alle Fälle war es vor dem Fieber. Und im Aga-Khan-Krankenhaus finden sie auch endlich die Erreger der Malaria tropica in meinem Blut. Es gibt viele Arten von Malaria, einige sind weniger schlimm, und diese ist die schlimmste, deshalb empfiehlt mir der Arzt, die Dreitagetablettentherapie auf sieben Tage zu verlängern, und weil ich dafür nicht mehr genügend Malarone habe, verschreibt er mir neue Tabletten. Ich ziere mich etwas, der Nebenwirkungen halber. Und mir geht es doch auch wirklich schon viel besser. Aber nein, sagt er, es muss sein.
Die Medikamentenausgabe ist in einer anderen Ecke der recht weitläufigen Klinik. Auch hier muss man ein Weilchen warten, und während ich das tue, fällt mir ein Mann auf. Nicht, weil er so weiß ist wie ich, im Aga-Khan-Krankenhaus sind Weiße, aber auch Inder, Araber und Asiaten kein ungewöhnlicher Anblick. Nein, er fällt mir auf, weil er zu hundert Prozent wie Paul Newman aussieht, genauer, wie Paul Newman vor einigen Jahrzehnten, und vor allem fällt er mir auf, weil er einen zierlichen roten Damenschuh in der Hand hält. Entgeistert ist das falsche Wort für die Art, wie der junge Paul Newman auf den Schuh blickt. Schockiert auch. Verwirrt stimmt ebenfalls nicht. Es ist ein trauriger, verwunderter, hilfloser Blick. Ich nehme mir ein Herz und spreche ihn an.
«Entschuldigen Sie, ist der Schuh krank?»
Sobald der Satz raus ist, tut es mir leid. Aber der Mann, der wie Paul Newman aussieht, nimmt ihn mir nicht krumm, im Gegenteil, er scheint ganz froh darüber zu sein, aus seiner melancholischen Nachdenklichkeit herausgerissen zu werden.
«Nein», sagt er, «der Schuh ist nicht krank. Aber seine Geschichte ist krank. Schwer krank.»
Die Geschichte des zierlichen roten Schuhs geht kurz gesagt so: Der Doppelgänger von Paul Newman lebt und arbeitet seit vielen Jahren in Nairobi. Gestern fuhr er mit seinem Dienstwagen nach Haus, und ein Inder hielt ihn an. Der Mann stand unter Schock. «Meine Frau, meine Frau, bitte helfen Sie meiner Frau.» Paul Newmans jüngeres Ebenbild steigt aus und sieht eine zierliche Inderin auf der Straße liegen. Sie hat rote Schuhe an. Zeitpunkt: direkt nach einem Raubüberfall. Man hat das Auto der Inder gerammt, man hat sie herausgezerrt, die Frau hat geschrien, der Mann hat geschwiegen, aber alles gegeben, darum steht er noch, während sie liegt. Das ist wichtig, man muss ruhig bleiben und ihnen sofort alles geben, und am besten auf den Knien, und man darf ihnen nicht ins Gesicht
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