Afrika im Doppelpack: Vater und Sohn mit dem Rucksack durch Schwarzafrika
Volltreffer. Mitten im Zentrum, nur 10 Gehminuten unterhalb des großen Kreisverkehrs, an dem sich das Leben und, nach dem einen oder anderen Granatenangriff in letzter Zeit, auch das Sterben abspielte, bot es alles, was wir brauchten: Sauberkeit, Sicherheit, eine Küche für hungrige Hyänen – und John, den Manager. Den Manager mit, ja, was wohl? Genau – den Permits. Aber ganz so einfach war es dann doch wieder nicht.
Die erste Hürde schafften wir mit links. Um uns für den Gorilla-Besuch möglichst viele Optionen offenzuhalten, planten wir mit einem Zeitfenster von zehn Tagen. Einschließlich einer Verlagerung unserer konspirativen Aktivitäten auf ugandisches, als letzte Rettung, auch kongolesisches Territorium. Wir hätten uns quasi freiwillig in die Hände der Rebellen begeben, so wichtig war uns die Aktion. John hatte die Permits nach weniger als 24 Stunden für den fünften Tag unseres Aufenthalts. Noch dazu – entgegen aller Erwartungen – ohne Aufpreis.
Der nächste Abschnitt der Kommandoaktion war außerordentlich wichtig und wurde generalstabsmäßig geplant: die Passkontrolle. Fand am Parkeingang eine Überprüfung der Ausweispapiere statt und wenn ja, generell oder nur sporadisch? John kontaktierte seine Mittelsmänner. Solange er hinter seinem Schreibtisch in den Telefonhörer flüsterte, saßen wir konzentriert und mit brav im Schoß gefalteten Händen ihm gegenüber und beobachteten dabei unsere angespannten Gesichter in seiner Spiegelsonnenbrille. Bis die erlösende Antwort kam: Keine Ausweiskontrolle. Nur wenn unübersehbar ein Kind an den Start ginge, würde eingeschritten. Was nicht ausschloss, dass, gegen eine auch für die westliche Geldbörse sehr hohe Risikoprämie, ein Auge zugedrückt werden könnte. Bestechung – das wollten wir unter allen Umständen vermeiden. Aus Gründen derPolitical Correctness. Und auch, weil wir ein bisschen geizig waren.
Von da an war Michael drei Jahre älter. Klotzen, nicht kleckern. Wenn 15 Jahre als Mindestalter Pflicht waren, war er eben 16. Eine Punktlandung erschien uns zu auffällig. Mit seinen 1,74 Metern Körpergröße und der Statur eines austrainierten Bezirksoberligafußballers konnte man ihn spielend für so alt ansehen. Was uns Johns Mitarbeiter aus Küche, Garten und Reinigungsabteilung mehr als bestätigten. Alle taxierten ihn auf mindestens 18 oder hielten ihn eher für noch älter. Sogar er selbst war schließlich von dem plötzlichen Reifesprung fest überzeugt – es lebe das Ego! Mit vor Stolz geblähter Brust und einem Grinsen über beide Ohren, als hätte er was geraucht, verkündete er im Brustton der Überzeugung: „Ich bleib den ganzen Urlaub über 16, nicht, dass wir beim Schimpansen-Tracking in Uganda wieder die gleichen Schwierigkeiten bekommen, Papa.“ Das konnte ja heiter werden.
Die Übergabe der Permits lief ab wie bei einem Rauschgiftdeal. Und – natürlich – nicht in Johns gut klimatisiertem Büro bei einem Tässchen Kaffee. Ganz großer Bahnhof war angesagt, im wahrsten Sinn des Wortes. John verfrachtete uns mit einem „wartet es nur ab“ verheißenden Augenzwinkern in seinen rostigen Minibus und karrte uns 20 Minuten durch alle Schlaglöcher Zentral-Kigalis bis vor den quirligen Busbahnhof. Dort stellte er den Motor ab, drückte einem zerlumpten sieben- oder achtjährigen Jungen eine Handvoll Münzen in die Hand und forderte mich auf, die 1000 US-Dollar Bargeld mitzunehmen. Anschließend ging er uns voraus und steuerte zielgerichtet und mit völlig entspannter Miene, als ob es das Natürlichste auf der Welt wäre, den Bahnhofsvorplatz an. Scheinbar war es das auch. Oder etwa doch nicht? Michael und ich schauten einander an wie zwei Deppen. Ja, wo war denn jetzt die Reiseerfahrung von Papa? Und der die Initiative an sich reißende Elan eines jungen Wilden im zarten Alter von 16, hm?
Mir wurde es mit meinen 1000 Dollar in der linken Hosentasche inmitten all des Trubels eines schwarzafrikanischen Busbahnhofs immer klammer. Reisende mit Koffern in den Händen und Leute mit heuballengroßen, in Tüchern eingebundenen Warenladungen auf den Köpfen rannten in alle Richtungen und rempelten jeden aus dem Weg, der nicht schnell genug zur Seite springen konnte. Dazwischen hatten sich unzählige Händler im Staub niedergelassen. Unter ihnen waren Frauen, deren kleine, kraushaarige Babys apathisch an den ausgeleierten Brustwarzen nuckelten oder fest auf dem Rücken verzurrt die Zeit bis zum Nachhauseweg verschliefen.
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