Afrika im Doppelpack: Vater und Sohn mit dem Rucksack durch Schwarzafrika
Straßenräuber zu treffen, ist äußerst gering. Dafür ertappe ich auf einer einsamen Landstraße keine Tageswohnungseinbrecher in flagranti. Beim Pauschalurlaub einmal an der falschen Stelle gespart und zwei Wochen in einer Hotelanlage des Schreckens, zwischen Mörtelmaschinen und Baukränen, und der Urlaub wird unvergesslich. Aus dem von heute auf morgen spontan ausgewählten Hotel während einer Rucksacktour kann ich wie der geölte Blitz abhauen, wenn es mir nicht mehr gefällt.
Was ich sagen will, ist, für mich ist das Risiko, auf Reisen nicht immer heil davonzukommen nicht groß genug, um auf die Freuden des Reisens zu verzichten. Ich stehe gern eingeklemmt zwischen scharf riechenden Bauersleuten in einem maroden Bus und fahre mit 15 km/h auf einer schnurgeraden Wellblechpiste dem Horizont entgegen. Ich betrachte es als Zugewinn, mit leicht angegammelten Klamotten und einer öligen Patina aus Schweiß, Staub und sonst-was-alles auf der Haut in einem Kein-Sterne-Hotel am Ende der Welt anzukommen und kann erst dann einen Bilderbuchstrand und das türkisfarbene Wasser entsprechend genießen. Und ich kotze mir, wenn es sein muss, erhobenen Hauptes die Seele aus dem Leib, solange ich mir die Erreger nur ja nicht an einem All-inklusive-Buffet geholt habe. Und ich danke Gott und allen übersinnlichen Mächten dieser Welt, dass mein Sohn Michael die Dinge genauso sieht und mir die Immodium-Tabletten abgezählt an mein Krankenlager bringt.
Ruanda ist ein schönes Land. Ein Stück Bilderbuchafrika mit einer spektakulären Natur – die Virunga-Vulkane mit den letzten Berggorillas, mediterran anmutende Vulkanseen, weite Savannenlandschaften und Regenwälder voller Schimpansen. Und, soweit Michael und ich bis jetzt sagen konnten, freundlichen, sogar sehr freundlichen Menschen. Das war aber nicht immer so gewesen. Ganz im Gegenteil. In den 1990ern war Ruanda Kriegsgebiet und Schauplatz eines Völkermordes mit Flüchtlingsbewegungen biblischen Ausmaßes.
Ich hatte das natürlich schon vorher gewusst. Michael hatte zu Beginn unserer Reiseplanungen nicht den Hauch einer Ahnung, auf was er sich einließ. Als sich die Lage im Afrika der großen Seen Ende der 1990er langsam beruhigte, wurde er gerade geboren. Ich musste ihn also entsprechend präparieren und mich für seine Fragen rüsten:
Der damalige Völkermord fand zwischen den beiden größten Volksgruppen Ruandas, der Bevölkerungsmehrheit der Hutu und der Minderheit der Tutsi, statt. Etwas vereinfacht lässt sich sagen, dass eine von den Hutu dominierte Regierung durch eine gezielte politische Agenda die latenten Vorbehalte der Hutu gegenüber den Tutsi bewusst angeheizt und zur Eskalation mit etwa 800.000 Toten, hauptsächlich Tutsi, gebracht hatte. Die heißeste Zeit waren die Monate April bis Juli des Jahres 1994 gewesen, als in rund 100 Tagen drei Viertel der Tutsi-Bevölkerung – Frauen, Kinder, Babys, Greise – erschlagen, erschossen und mit Macheten zerhackt worden waren.
Da stellt sich einem schon die Frage, was die Tutsi so viel anders machten als ihre Nachbarn?
In der einschlägigen Literatur zu Ruanda werden die Hutu als Bauern und die Tutsi als Viehhirten beschrieben. Konfliktpotenzial gab es seit historischen Zeiten hauptsächlich aufgrund von Landnutzungsrechten, etwa, wenn Tutsi ihre Vieherden auf das Ackerland der Hutu trieben. Dass sich Hutu und Tutsi auch äußerlich unterscheiden ließen, wird bis heute hartnäckig behauptet. Zum einen werden Hutu als nicht zu groß gewachsen mit kräftigem und kurzem Oberkörper sowie mit groben Gesichtszügen beschrieben, zum anderen die Tutsi als sehr große, schlanke Menschen mit feiner ziselierten Gesichtern.
Das konnte ich kaum glauben. Skeptisch durchstöberte ich alles, was ich über das Thema finden konnte. Dabei stieß ich immer wieder auf Aussagen, wonach ein Hutu, der sich eine Viehherde zulegte, ein Tutsi sei, und ein Tutsi, der als Bauer lebte, als Hutu gälte. Auch gemischte Ehen waren verbreitet – mit katastrophalen Auswirkungen bei den Pogromen. Hutu-Ehemänner mussten ihre Tutsi-Frauen töten, die gemeinsamen Kinder durften in der Regel weiterleben. Hutu-Ehefrauen mussten aber ihre Tutsi-Männer und die eigenen Kinder töten. Auf Michael kam also einiges zu.
Wie auch immer, im heutigen Ruanda unter dem wohl als autoritär einzustufenden Kriegsgewinner, Präsident Kagame, sind die Begriffe Hutu und Tutsi verboten, eine Unterscheidung zwischen den Ethnien nicht mehr gewünscht.
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