Afrika Quer (German Edition)
grünen Bohnen, zerstampfte sie in einem Mörser und kochte den Kaffee über einem Holzkohlengrill. Später kam ihr älterer Bruder dazu. Er trug eine rote Sporthose und ein Fußballtrikot mit einem Bild von Ronaldo auf der Brust.
Er sprach einigermaßen verständlich Englisch. Die Mädchen sprachen noch nicht einmal das in Dschibuti allgegenwärtige Französisch. Und weil die vier bei ihrer Kaffeezeremonie noch konservativer waren, als ich das je in der äthiopischen Hauptstadt gesehen hatte, dachte ich, sie müssten vom Land kommen.
Aber ich täuschte mich. Sie kamen aus Addis Abeba. Das frische Gras am Boden streute dort nicht mehr jeder aus. Vor allem nicht, wenn es wie in Dschibuti fürchterlich teuer ist, weil es extra aus Äthiopien eingeführt werden muss. Und die Mädchen servierten zum Kaffee ein flaches, in Segmente unterteiltes Brot und beteten sogar noch, bevor sie es verteilten. In Addis Abeba wird zu den drei kleinen Tassen Kaffee, die jeder nehmen sollte, inzwischen fast immer Popcorn gereicht.
Gleichzeitig räkelte sich eines der Mädchen im kurzen Nachthemd und Lockenwicklern im Haar auf dem Doppelbett. Und noch eine Stunde später blies sie mit gespitztem Mund zärtlich über ihre frisch lackierten Fingernägel.
Aber auch das erschien mir nicht als Widerspruch zu ihrer konservativen Kaffeezeremonie, sondern die für äthiopische junge Leute charakteristische Mischung. Ich wusste, dass die hausbackenen Vorstädte in Äthiopien mit ihren an den Mauern trocknenden Kuhfladen, ihrer Dunkelheit und ihrer Armut einen leicht auf die falsche Fährte führen konnten. Man schaute sich darin um und fühlte sich um Jahrhunderte zurückversetzt. Aber ein Fall hat mir dann recht drastisch gezeigt, wie viel Verzweiflung, wie viel Hunger nach Leben, wie viel Sehnsucht nach Ausbruch aus dieser engen Welt diese Vorstädte ausbrüten können.
Im Sommer 1996 wurde ein Flugzeug aus Addis Abeba entführt. Die Entführung wurde berühmt, weil eine Südafrikanerin das ins flache Wasser stürzende Flugzeug mit ihrer Videokamera filmte. Sie verbrachte gerade ihre Flitterwochen auf den Komoren, einer Inselgruppe vor der ostafrikanischen Küste. Und weil die Entführer dem Flehen des Piloten, dass er bald kein Benzin mehr habe, so absolut keine Bedeutung schenkten.
Vier Jahre nach dem Absturz besuchten wir den Vater eines der drei Entführer in einem Vorort von Addis Abeba. Er war schon über sechzig. Sein Sohn war zur Zeit der Entführung neunzehn und hatte mit seinen zwei Komplizen vor der Tat ein paar Monate in Dschibuti gelebt.
Die brutale Flugzeugentführung ging klar über den Horizont des Vaters hinaus. Er konnte sie mit der Erinnerung an seinen Sohn einfach nicht zur Deckung bringen. Auf den Schwarzweiß-Fotos, die er uns zeigte, sah man fast noch ein Kind. Er erzählte von einem ganz normalen Vorstadtjungen, der beim Lernen für das Abitur seine Füße in eine Schüssel kaltes Wasser gestellt hatte, um nicht einzuschlafen; der ihm Geld schicken würde, wenn er einen guten Job in Nairobi hatte und der nur in das Flugzeug dorthin gestiegen war, um das Diplom seines Fernstudiums abzuholen.
Aber der Sohn, der dann wirklich in dem Flugzeug nach Nairobi saß, war kein biederer Vorstadtjunge mehr. Die drei Entführer behaupteten, sie seien aus dem Gefängnis ausgebrochen. Nun wollten sie nach Australien.
Als ihnen der Pilot klarmachte, dass das Flugzeug nur Sprit hat bis Nairobi, aber niemals für einen Flug um die halbe Welt, sagte einer von ihnen: „Wenn wir es nicht nach Australien schaffen, wollen wir sterben und Geschichte machen.“ Während das Flugzeug abstürzte, liefen sie immer noch herum, anstatt sich hinzusetzen und sich anzuschnallen.
Vieles über die Beweggründe der drei Jungen wird wohl nie geklärt werden, aber eines war klar: Sie hatten von mehr geträumt als einem Leben in der Vorstadt mit Fladenbrot, Honigwein und ihrem mit Heiligenbildern behängten Zimmer.
Ohne dass ich ihm Anlass dazu gegeben hätte, stellte der junge Mann in Zimmer Nr. 5 gleich klar, dass seine Schwester und ihre Freundinnen keine „Barmädchen“ waren. So etwas, wie für Geld mit französischen Soldaten schlafen, würden sie nie tun.
Ich hatte den Eindruck, dass seine Schwester auch wirklich meinte, was sie sagte, als sie unter dem Gekichere ihrer Freundinnen ein paar Mal laut dachte. „Mensch, ist der schön“, hat ihr Bruder übersetzt. Und: „In welchem Zimmer wohnt der denn? Ich werde heute Nacht einmal bei ihm
Weitere Kostenlose Bücher