Afrika Quer (German Edition)
der Bahn fahren.“
Nun wirkte er besorgt. Er runzelte die Stirn. Und der Angestellte, der die ganze Zeit neben uns gestanden und interessiert zugehört hatte, nickte und grinste vor lauter Freude - wahrscheinlich, um vor der gelungenen Finte seines Vorgesetzten den Hut zu ziehen, dachte ich.
Das bedeutet, ich darf nicht mit dem Zug fahren?, fragte ich ungläubig. Aber ich habe erst vor fünf Minuten meine Fahrkarte gekauft.
„ Tja, so ist das.“, sagte der Beamte gedankenverloren. „Manchmal weiß hier die eine Hand nicht, was die andere tut.“
Manchmal weiß die eine Hand nicht, was die andere tut! – das kannte ich! Das deckte sich exakt mit meinen Erfahrungen. Aber der Beamte am Fahrkartenschalter hatte weder mich noch sonst irgendjemanden in der kurzen Schlange nach seinem Reisepass gefragt. Was war außerdem mit den vielen Äthiopiern, die mit der Eisenbahn fahren mussten? Und obwohl ich es in meinem Visumsantrag vermerkte, hatte mich schließlich in der äthiopischen Botschaft auch niemand gewarnt, dass ich nicht mit dem Zug fahren durfte. Mit einem Wort: Es erschien mir unwahrscheinlich, dass der stellvertretende Bahnchef die Wahrheit sagte. Aber sicher war ich nicht. Möglich war in Dschibuti alles. Bei allem, was ich inzwischen über den Zustand der Strecke und der Züge gehört hatte, war es auf keinen Fall ausgeschlossen, dass die Fahrt für Weiße verboten war.
Aber konnte jemand so drastisch lügen, nur weil er sich vor ein paar Journalistenfragen fürchtete? Und konnte er es so ansatzlos tun, so ohne überlegen zu müssen, so ohne jede detektierbare Änderung der Mimik? Und dann noch als stellvertretender Chef einer staatlichen Behörde, der dschibutischen Eisenbahn?
Er konnte. Ich muss zugeben, der Beamte hat mich kurz perplex zurückgelassen. Aber dann habe ich mich an meine Zeit in Nairobi erinnert und an meinen Hausmeister im ersten Appartementblock, in dem ich wohnte. Ich war nicht unzufrieden dort. Aber nach anderthalb Jahren gab es mit einem Mal am Morgen, wenn ich duschen wollte, kein heißes Wasser mehr. Der neue Wachmann hätte, anstatt zu schlafen, nachts aufstehen und den Boiler anheizen müssen. Aber das tat er, wie ich nun jeden Morgen mit wachsendem Ärger feststellte, nicht.
Ich beschwerte mich beim Hausmeister. Die ersten paar Male bestritt er alles. Dann sagte er: „Komisch, dass das nur in Ihrer Wohnung passiert.“ Aber es passierte auch in den anderen Wohnungen, nur beschwerten sich deren Bewohner nicht. Mein Nachbar zuckte nur mit den Schultern. Eine Geste, die „Was willst du machen? Warum sollte ich mich beschweren? Nützt ja sowieso nichts“ in einem ausdrückt. Aber so weit war ich noch nicht.
Ich beschwerte mich, aber der Hausmeister hatte immer eine Ausrede parat. Inzwischen war kein Holz mehr zum Heizen da. Und ganz am Ende irgendwann war die Pumpe kaputt. Aber wie war das kalte Wasser dann hoch zu meiner Dusche gekommen?
Das ging über Monate. Er dachte sich immer neue, immer wildere Lügen aus, und ich schäumte. Vor allem, weil er immer weiter log und mich so noch viel rasender machte. Ich schaltete den Eigentümer ein. Der zeigte Verständnis, unternahm aber nichts.
Irgendwann gab ich auf. Ich zog um. Und ich habe endlich kapiert und habe die Theorie seitdem immer wieder bestätigt gefunden: Der Hausmeister log nicht, um mich zu provozieren. Er meinte es nicht persönlich. Das war nur seine Lebensstrategie. Und sie funktionierte. Alles ging seinen Gang. Nur ein noch nicht ganz in Afrika angekommener Weißer beschwerte sich. Das war alles. Warum sollte er seine Strategie ändern?
Und so kam es, dass der stellvertretende Chef der dschibutischen Eisenbahn log wie ein Schulbub - natürlich um ein Vielfaches geschickter -, und ich, bis ich am Sonntag früh um fünf Uhr am Bahnhof ankam, die Unsicherheit nicht völlig los wurde, dass ich nicht mit dem Zug nach Addis Abeba fahren durfte.
Aber dann nicht mehr. Denn als ich auf dem Bahnsteig stand, zog mich gleich einer junger Mann in sein Abteil und auf einen freien Sitz neben sich. Er stellte sich als Frédéric vor und schien wie ich froh, soviel Gesellschaft wie möglich zu haben. Er war Anfang zwanzig, hatte die kurzrasierten Haare der französischen Soldaten und fuhr zusammen mit seiner hübschen äthiopischen Freundin ihre Eltern in der Nähe von Dire Dawa besuchen.
Und dann, nachdem ich den Zug etwas genauer angeschaut hatte, verstand ich auch, warum der stellvertretende Bahnchef der dschibutischen
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