Afrika Quer (German Edition)
außerirdische Lebensform? Ein Mondkalb auf einem Mountainbike? Nachdem ich vorbeigefahren war, schien sie sich wieder zu fassen. Ich sah sie mutig in ihren Garten schreiten.
Der alte Teil der Stadt fesselte mich. Seine schäbigen Gassen, Mauern, Hütten und Schuppen aus Millionen von flachen Steinen gebaut, die fein säuberlich einer auf den anderen geschichtet waren, gaben ihr etwas unwirkliches. Die träge Langsamkeit der Menschen, wie ihre Uhren nicht zu ticken, wie hier die Zeit zu tropfen schien, versetzten mich in einen Traum. Und die Kinder, die mich mit offenem Mund anstarrten, wenn ich auf meinem Mountainbike an ihnen vorbei radelte, verstärkten meinen Eindruck von dieser seltsamen Stadt noch. Wenn es soweit war, hoffte ich, würde ich wieder den Ausgang aus dieser Zwischensphäre finden.
Für den nächsten Tag stellte mir das Touristenbüro einen Führer zur Verfügung. Seine Tour der Stadt ließ jedoch eine Menge Fragen offen. Er zeigte mir das Museum, den Stelenpark und das große Kirchengelände der Heiligen Maria von Zion. Aber was war mit den ganzen anderen von der Deutschen Aksum-Expedition beschriebenen Gemäuern?
Also schnappte ich mir am nächsten Tag meinen Expeditionsbericht und wieder mein Fahrrad, sowie einen jungen Mann, der Englisch sprach, und machte mich auf die Suche nach den restlichen Ruinen.
Als erstes suchten wir nach Ta’akha Maryam. Auf der zeichnerischen Rekonstruktion der Deutschen Aksum-Expedition sieht man einen Komplex, massig wie eine Burg, mit zwei wuchtigen Türmen.
So kamen wir zum Grundstück von Mulu Gabriel Kidane an der Straße nach Shire. Wir mussten eine Weile an das klapprige Tor aus Wellblech klopfen, bis eine Frau öffnete. Sie guckte gar nicht, wer da war, sondern verschwand sofort wieder in ihrer Hütte. Sie war Besucher, die nach Trümmern von Ta’akha Maryam suchten, schon gewöhnt. Sie trug das selbstgewebte weiße Baumwolltuch um die Schultern und die in der Region traditionellen blauen Tätowierungen auf Stirn und Kinn.
Glücklich darüber, dass sie einen Palast im Garten hat, erzählte sie, war sie jedoch nicht. Deshalb wird ihre Familie und sie vielleicht irgendwann umziehen müssen. Zwar sei ihr im Augenblick nichts von Plänen für eine Ausgrabung bekannt, sagte sie. Aber dann wisse man bei so etwas ja nie!
In Frau Kidanes Garten ist nur noch eine kniehohe Mauer aus den charakteristischen, exakt geschnittenen Granitsteinen zu sehen. Wenn man nicht wüsste, dass sie einmal zu einem Palast gehörte, hätte man sie glatt für eine ganz normale Gartenmauer halten können.
Für Familie Kidane war sie das auch. Sie hat einen Schuppen daran gelehnt und allen möglichen Krimskrams, Gartengeräte und verbeulte Büchsen und Feuerholz darauf gelagert.
Zur Zeit der Deutschen Aksum-Expedition – das wird aus den Fotos der Ausgrabungsstelle klar – konnten die Hütten der Kidanes hier noch nicht gestanden haben. Aber die 46-jährige sagte, dass sie in diesen Hütten schon geboren wurde. Und auf die Frage, wann die Hütten denn gebaut wurden: „Vor mehr als hundert Jahren.“
Vor mehr als hundert Jahren – damit wollte sie wohl sagen „vor langer Zeit“ oder „Es ist länger her, als sich jemand erinnern kann“.
Denn später schätzte so auch eine Frau das Alter ihres Hauses ganz in der Nähe. In seiner Fassade entdeckten wir aus Zufall das antike Relief eines Kreuzes. Wer weiß, zu welchem Palast oder Grab oder Thron das einmal gehört hat!
Und Misan Negash Haile, Sohn der Familie, die sich auf den Ruinen des nächsten antiken Palastes eingerichtet hat, sagte dasselbe. Die zwei Hütten seiner Familie lagen nur ein paar hundert Meter nördlich des Grundstücks der Kidanes.
Wir störten Haile gerade beim Lernen. Er saß in seiner fensterlosen, dunklen Hütte über ein Chemie-Buch gebeugt. Außerdem standen dort zwei dreckige Betten mit noch dreckigerer Bettwäsche und zwei bauchige Krüge für Ndalla, das dunkle, ungefilterte Bier der Region. Der 17-jährige lebte hier mit seiner Mutter. Aber sie war gerade nicht da. Also führte er uns herum.
Als seine Familie vor vier Jahren diese zweite Hütte für ihn gebaut hat, erzählte Haile, entdeckte sie in der Erde „einen großen Stein, geformt wie ein Dreieck“. Offenbar ein Rest des fast 2.000 Jahre alten Enda-Mika’el-Palastes.
Auch dieser Gebäudekomplex sieht auf der zeichnerischen Rekonstruktion der deutschen Archäologen wie eine hohe, massige Burg mit zinnenbekränzten Türmen aus. Diesen
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