Afrika Quer (German Edition)
Steinthrones hielt, wie sie in der Stadt verteilt liegen. Für die Rekonstruktion eines Thrones wäre der Stein wichtig gewesen. Ansonsten existiert keine Rückenlehne mehr. Aber heute weiß keiner mehr, wo dieser Stein hingekommen ist.
Dasselbe gilt für eine massive Bodenplatte, die die Basis für eine riesige Statue gebildet haben muss. Trotz Grabungen in der jüngsten Zeit konnte sie einfach nicht mehr gefunden werden.
Der Bericht der deutschen Expedition spricht eine deutliche Sprache. Überall in den antiken Anlagen – daneben, dazwischen, darüber - sprossen damals strohgedeckte Hütten. Kinder tollten auf schon beängstigend schräg stehenden Stelen herum. Und daran, dass ein beträchtlicher Teil der Hütten und Mauern der Stadt mit Steinen aus den antiken Gemäuern gebaut worden waren, konnte kein Zweifel bestehen.
Das Neue wuchs auf dem Alten und aus dem Alten - und das Alte verschwand. Außer als Baumaterial besaß es keinen Wert für die Bewohner der Stadt. Jedenfalls keinen, der es ihnen als erhaltenswert erscheinen ließ. Es hatte keinen historischen Wert also.
Aber das war vor inzwischen fast einhundert Jahren. Inzwischen war eine Periode der Modernisierung, der Öffnung über Äthiopien hinweggezogen. Inzwischen musste sich in Aksum eine ganze Menge verändert haben.
Als ich zu Beginn des Krieges zwischen Äthiopien und Eritrea im Juni 1998 zum ersten Mal durch Aksum fuhr, wirkte die Stadt nicht besonders einladend auf mich. Vor dem Stelenpark stiegen wir kurz aus dem Auto, und wurden gleich von ein paar Jugendlichen bedrängt. Viele Besucher schienen sie noch nicht gesehen zu haben.
Weil Aksum nur gut fünfzig Kilometer südlich der eritreischen Grenze liegt, brauchte man während des Krieges eine Sondergenehmigung, um die Stadt zu besuchen. Also wirst du hinfahren, dachte ich, wenn der Krieg vorbei ist.
Denn ohne Zweifel gehört Aksum zu den bedeutendsten antiken Stätten Afrikas. Die UNESCO hat die Sehenswürdigkeiten der Stadt schon in den sechziger Jahren zum Weltkulturerbe erklärt. Berühmt ist Aksum vor allem für ihre mehr als zwanzig Meter hohen, exakt geschnittenen Granitstelen aus den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung. Nach dem heutigen Stand der Forschung wurden die größten über den Grabkammern der aksumitischen Könige errichtet. Sie sind die höchsten Säulen aus einem Stück, die je in der Welt errichtet wurden.
Außerdem sind in Aksum noch Spuren aus der sabäischen Zeit zu sehen, als die Region noch in enger Verbindung mit dem Süden der Arabischen Halbinsel stand. Auf diese Epoche geht die Legende zurück, dass die Königin von Saba einen Palast in Aksum bewohnt hat. Und dass Menelik, ihr gemeinsamer Sohn mit König Salomo, das Original der Bundeslade von einer Reise ins Heilige Land mitgebracht hat. Sie wird angeblich heute noch in einer Kapelle auf dem Kirchengelände der Heiligen Maria von Zion aufbewahrt.
Als ich nun zum zweiten Mal in Aksum ankam, war ich wirklich gespannt darauf, mir die Stadt in Ruhe anzuschauen.
Gleich als ich aus dem Bus stieg, hatte ich den Eindruck, in einer Art Zwischensphäre gestrandet zu sein. Ich war schon auf der Erde, und das klapprige Gefährt hatte mich, wie ich an den Werbeplakaten für Limonade feststellte, auch nicht in einer anderen Epoche abgesetzt. Aber ich war in einer unwirklichen, fremden Welt.
Die Hauptstraße war völlig verwaist. Geteert war sie schon, aber auf ihr fuhr durchschnittlich nur alle zehn Minuten ein Auto. Dafür hatte die Stadt einen Minibus - für mehr als 35.000 Einwohner! Er wartete am Busbahnhof oder am zentralen Platz, bis er voll besetzt war, und eierte ein paar Mal am Tag die Hauptstraße entlang.
Ich benutzte ihn einmal. Der Fahrer hielt unvermittelt an, nahm ein Kind mit einer Schultasche auf den Schoß, setzte es nach dreihundert Metern wieder ab und erklärte mir, das sei seine Tochter gewesen. Sie wäre gerade von der Schule gekommen.
Wenn ich vom Afrika-Hotel in die Stadt wollte, musste ich mich an die Straße stellen und auf ein Pferdefuhrwerk warten. Dort lieh ich mir ein Fahrrad, ein knallrotes Mountainbike, und fuhr damit in der Stadt herum. Voller Tatendrang verließ ich die Teerstraße und bog in das Gewirr von holprigen Gassen und alten Häusern.
Dort hatte ich sofort eine Begegnung der sphärigen Art. Eine junge Frau, gerade aus ihrem Haus getreten, gefror sofort in der Bewegung, als sie mich sah, und starrte verkrampft zu Boden.
Was hatte sie gesehen? Eine Erscheinung? Eine
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