Afrika Quer (German Edition)
großen Stein, sagte Haile, hätten sie in der Erde gelassen. „Der ist zu hart. Den kann man gar nicht klein hauen.“
Aber aus der Gartenmauer der Familie steht ein langer, regelmäßig geschnittener Granitblock heraus. Und gerade mal zehn Meter entfernt, auf der anderen Seite der Straßenkreuzung, dort wo die Kameltreiber ihre Tiere anbinden, wenn sie am Morgen mit einer Ladung Brennholz aus der Umgebung kommen und einen Ndalla trinken, lagen auch geschnittene Granitsteine verstreut. Sie müssen einmal eine Ecke von Enda Mika’el gewesen sein. „Die lagen früher auch noch aufeinander“, sagte der Übersetzer.
Viele steinerne Zeugen aus der Glanzperiode Aksums innerhalb und außerhalb der Stadt sind heute abgetragen, überbaut oder verschüttet. Andere liegen einfach so herum. Direkt an der Straße, oberhalb der großen Kirche, liegen drei Granitplatten, auf denen einmal die Throne der Ratsversammlung gestanden haben. Etwas mit Gestrüpp überwachsen zwar, aber fertig zum Aufladen. Und im Ezana-Garten, einem Vergnügungslokal, das irgendwie zu Stelen und Granittrümmern gekommen ist, benutzen die Kellner antike Säulenbasen als Tischchen, um ihre Tablette darauf abzustellen.
Den Übersetzer hatte ich schon nach Hause geschickt. Ich fuhr noch zum vermeintlichen Palast der Königin von Saba etwas außerhalb der Stadt. Zufällig traf ich dort meinen Touristenführer vom Vortag. Er war außerdem Mitarbeiter des Museums von Aksum. Ein kleiner Junge in zerlumpten Kleidern und kahl rasiertem Kopf bot mir eine abgegriffene Münze für umgerechnet fünfzehn Euro an. Ich gab sie dem Führer.
Er guckte sie an und sagte: „Byzantinisches Kreuz, 6. Jahrhundert nach Christus.“
Ich fragte: Aber darf die der Junge denn verkaufen?
Der Reiseführer wies das Kind kurz zurecht und fuhr mit seinen Besuchern in einem Geländewagen davon. Ich hatte ein Fahrrad. Mir rannte der Junge hinterher. Ich bin sicher, am Ende hätte ich die Münze für ein paar Euro bekommen.
Das Ende der Welt (Aksum – Gondar – Grenze)
Haben Sie in einem Autobus schon einmal Flugangst gehabt? Ich schon.
Allerdings auch nicht gleich am Anfang. Denn da sah die Fahrt nach Gondar noch nach einer geruhsamen Angelegenheit mit Ausblicken auf eine malerische Berglandschaft aus. Von Shire aus sahen die über 4.000 Meter hohen Simien-Berge nämlich so flächig aus, als wären sie von durchscheinendem Papier. Die vorderste Lage war die dunkelste. Die dahinter vorlugenden Berggipfel aber wurden immer transparenter, je weiter sie entfernt waren.
Nur als wir uns dann die kein Ende nehmen wollenden Haarnadelkurven zu dem kleinen Örtchen Debark hinaufschraubten, hatte ich den Papier-Vergleich schon lange bereut. Der Fahrer riss am Lenkrad wie beim Tauziehen. Und irgendwann waren die Kurven zu eng. Er kam nicht mehr herum.
Die Straße war eine Schotterpiste und der Bus alt und rostig. Aus der Blechkiste an dem Platz, an dem man das Armaturenbrett erwartet hätte, ragte ein Bündel schmutziger Kabel, und das Design des Tachofensters ließ mich auf ein Baujahr in den späten fünfziger Jahren tippen.
Zuvor hatte mich der Fahrer beim Hinunterfahren eines Passes schon ins Schwitzen gebracht. Sein Helfer auf dem Beifahrersitz musste den Schalthebel festhalten, weil der Rückwärtsgang gern heraussprang, während der Fahrer den Panoramablick in eine mehrere hundert Meter tiefe Schlucht genoss. Dabei stand er gleichzeitig mit der Sohle auf der Bremse und mit der Fußspitze auf dem Gas, weil der Motor sonst ausgegangen wäre. Langsam stieß er zurück und zog schließlich langsam um die Kurve herum.
Aber jetzt beim Hochfahren trieb der Fahrer es für mein Gefühl ein bisschen zu weit. Ich weiß nicht, ob er dann seinen Bremsen nicht traute. Auf jeden Fall schaltete er in den ersten Gang, ließ die Kupplung kommen und den Bus rückwärts auf den Abgrund zurollen. Wenn er den Motor abgewürgte hätte, wären wir auf dieser Schotterstraße trotz einer Vollbremsung sicher abgehoben.
Natürlich bin ich mir blöd vorgekommen, aber man hat sich ja in solchen Situationen nicht im Griff. Wie ich es in Flugzeugen auch manchmal tue, wenn sie eine scharfe Kurve fliegen, stellte ich mich hin und lehnte mich mit aller Macht vom Abgrund weg. Die anderen Passagiere im Bus dösten seelenruhig vor sich hin.
Woran erkennt man, dass man am Rand der Landkarte angekommen ist? Dem Ende der Welt, der letzten Station vor dem großen Nichts, jenem Ort, nach dem man hinten
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