Afrika Quer (German Edition)
fing er sich wieder. Offenbar hat er schon öfter schlechte Nachrichten bekommen.
Dann erzählte Toussaint folgende Geschichte: Als er neun Jahre alt war, sprach ihn und einen seiner Freunde ein Franzose an. Warum sie nicht, anstatt in der Nacht ihre Waren zu verkaufen, in die Schule gingen, fragt sie der Franzose. Die beiden arbeiteten damals wie Toussaint noch heute vor der Galaxy Bar. Das ist eine Ndombolo-Disko in Moursal, in der Toussaint am Abend das beste Geschäft macht. Wenn sich die Paare heiß getanzt haben, kaufen sie oft Papiertaschentücher von ihm, um sich den Schweiß von der Stirn zu tupfen.
Toussaints Freund erzählte dem Franzosen, er sei schon zweimal vom Hof der Schule zur Schönen Aussicht geprügelt worden, weil seine Eltern die Schulgebühren nicht bezahlt haben. Aus Mitleid nahm der Franzose daraufhin das Kind mit nach Frankreich.
Auf den ersten Blick mag Toussaints Geschichte unglaubwürdig klingen, aber ich glaube nicht, dass er sie erfunden hat. Für mich schien sie glaubhaft. Im Grunde stimmte einfach alles an ihr. Zumindest erklärte sie, warum mir Toussaint hatte weismachen wollen, dass er bis fünf Uhr, ähem, bis drei Uhr morgens Taschentücher verkaufte, obwohl die Galaxy Bar schon um Mitternacht zumacht.
Und in der Schule zur Schönen Aussicht hatten tatsächlich am Morgen vor jedem Klassenzimmer ein paar Kinder gestanden, die ab und zu die Fensterläden zur Seite schoben und vorsichtig herein lugten, aber nicht hereinkamen. Ihre Eltern hatten die Schulgebühren nicht bezahlt, sagte die Lehrerin. Auch Toussaints jüngere Schwester bekam ihr Trimesterzeugnis erst, wenn ihre Mutter die Schulgebühren bezahlt hat.
Und der gedankenlose Franzose, der von einem Moment auf den anderen beschloss, ein Kind nach Frankreich mitzunehmen, wie einen herrenlosen Hund, den man am Strand im Urlaub ins Herz geschlossen hat, erschien mir auch nicht so unbekannt. Europäer, die so auf das reagierten, was sie in Afrika sahen, habe ich in Nairobi oft genug erlebt.
Toussaints Mutter tat mir leid. So wollte ich nicht gehen. Deshalb versprach ich, ich würde, bevor ich N’Djamena verlasse, noch einmal bei ihr vorbeischauen.
Toussaint brachte mich zur Hauptstraße zu einem Taxi. Zum ersten Mal bedrängte er mich nicht, ihn nach Deutschland mitzunehmen, als wir allein waren.
Nach ein paar Tagen ging ich noch einmal hin. Inzwischen hatte Toussaints Mutter erfahren, dass er durchgefallen war. Wenn er das nächste Trimester wieder nicht bestand, werde sie ihn zur Feldarbeit in den Süden des Landes schicken, drohte sie. Dort hatte sie Verwandte.
Sie war sehr enttäuscht. Sie bat mich um Rat, was sie tun solle, damit Toussaint in der Schule besser wird. Ich sagte ihr, ich verstand nicht, warum Toussaint keine Hausaufgaben machte, und warum er den Unterricht nicht nachbereitete und nicht zuhause lernte. Seine Brüder und sein Cousin Valentin, der sehr gut Französisch sprach, könnten ihm doch dabei helfen. Außerdem solle Toussaint in die Bücherei des Französischen Kulturinstitutes gehen oder in jene in der Stadt. Dort könne man kostenlos Bücher ausleihen.
Inzwischen war Toussaints ältester Bruder von der Arbeit nach Hause gekommen. Er arbeitete in einem Ministerium in der Stadt. Er sagte: „Das ist ja alles schön und gut, aber wie soll Toussaint das machen? Wir haben kein Geld, um die Fahrt in die Stadt zu bezahlen.“
Zum Französischen Kulturinstitut war es von Toussaints Haus nicht mehr als eine Viertelstunde zu Fuß.
Aber darum ging es nicht. Es ging darum, auf meine Großzügigkeit zu spekulieren. Natürlich hatte ich Valentin und Toussaint schon Geld gegeben. Und Toussaint musste seiner Mutter die Hälfte davon abgeben. Aber so billig wollte mich Toussaints ältester Bruder nicht davonkommen lassen.
Er war ein Riese, bestimmt über zwei Meter groß. Er hatte ein hartes, eckiges Gesicht. Ich schätzte ihn auf Anfang dreißig. Er lag mehr als er saß in einem gigantischen Bulldozer-Reifen, der offenbar nur zu diesem Zweck im Hof herumlag.
Er habe nur eine Frage, begann er so vorsichtig, dass ich schon ahnte, was gleich kommen wird. Wie ich wusste, sei er ja der älteste Mann hier auf dem Grundstück, und deshalb hätte er ein Recht darauf zu erfahren, was ich hier gemacht habe.
Ich weiß nicht, wie oft ich diese Diskussion bei meinen Recherchen geführt habe - so oft jedoch auf jeden Fall, dass sie mir zum Hals heraushing. Ich unterbrach ihn sofort und sagte ohne Umschweife, dass nur
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