Afrika Quer (German Edition)
diejenigen etwas verdienen konnten, die auch etwas getan haben.
Zuerst schien ihn das aus dem Konzept zu bringen, aber so schnell gab er nicht auf. Er wolle nur noch eines wissen, sagte er dann verbittert: „Wer wird an dem Text und den Fotos, die Sie gemacht haben, in Deutschland verdienen? Wir nicht!“
Dass man in Afrika nicht nach dem Weg fragen, keinen Gefallen erbitten, kein Foto machen kann, ohne etwas dafür zu bezahlen, war mir am Anfang nicht weiter verwunderlich erschienen. Die Leute waren arm. Sie nahmen, was sie kriegen konnten.
Aber irgendwann habe ich gemerkt, dass das nichts mit ihrer Armut zu tun hatte, sondern mit ihrer Tradition. Die Gefragten und Fotografierten erwarteten Geld, weil es ihnen zustand, nicht weil sie arm waren.
So ist das traditionelle Rechtsverständnis. Alle wichtigen Ereignisse im Leben eines Menschen, Geburt, Heirat oder Tod, lösen eine Abfolge von Geben und Nehmen aus. Ja, überhaupt alle Beziehungen der Menschen untereinander beruhen auf einem gegenseitigen Austausch von Geld oder Gütern.
Die Afrikaner gaben ihr Bild und ihre Erlaubnis fotografiert zu werden - ohne die ging nichts. Sie gaben etwas. Wie konnte es dann sein, dass sie nichts dafür bekamen! Und sie blieben auch dabei, obwohl diese Praxis in der Richtigen Welt inzwischen oft genug Bestechung, Nötigung und Wegelagerei hieß.
Das gab es im Größeren natürlich auch. Eine Verwaltung gab es in Afrika schon, aber die Beamten darin musste man bestechen, weil die doch etwas dafür taten. Es gab auch Politiker, aber die mussten wiederum etwas für ihre/n Familie/Clan/ethnische Gruppe tun, denn die hatten sie ja schließlich gewählt. Und so mussten sich die Politiker natürlich aus der großen Kasse bedienen. Alles funktionierte, ging weiter seinen Gang. Mehr schlecht als recht zwar, aber es ging.
Nur während bei den Afrikanern das alte Bewusstsein überlebte, hatte sich inzwischen die Welt um sie herum verändert. Die Herausforderungen waren längst andere geworden. Ihre Länder sollten sich wirtschaftlich entwickeln. Die Richtige Welt erwartete das, und die Afrikaner selbst fast alle auch. Trotzdem blieben sie hartnäckig die Alten.
Das ist die wahre Tragik Afrikas. Die Welt hatte sich verändert, nur das Bewusstsein der Afrikaner hat damit nicht schrittgehalten.
Und so kam es, dass Toussaints ältester Bruder in seinem Hof herumsaß und versuchte, seinen ihm doch zustehenden Anteil einzutreiben, während überall um ihn herum schon seit langem Endzustand war.
Moursal, in dem eigentlich die Beamten von N’Djamena wohnten, sah aus wie ein Slum. In der Grundschule des Viertels ging es zu wie in jedem beliebigen Truppenverband, und sein Bruder Toussaint war mit zwölf Jahren schon so gerissen, wie viele Leute in Europa es in ihrem gesamten Leben nie sein werden.
Nach unserem Abschied gab mir die Mutter Toussaint wieder zum Taxistand mit. Kurz nachdem wir das Tor des Grundstücks hinter uns gelassen hatten, richtete sich wieder das schon bekannte Grinsen auf seinem Gesicht ein.
„Na, was ist jetzt? Nimmst du mich nun mit nach Deutschland?“, fragte er.
NIGERIA
Aber nein, mein Kommandant! (Grenze – Kamerun – Dutse)
N’Djamena hat auf mich gewirkt wie ein verschlafenes Provinznest, nicht wie die Hauptstadt eines eigenständigen Landes. Im nächsten Land, Nigeria, dagegen gab es nun wieder die Grundausstattung des modernen Menschen: richtige Zeitungen, Bücher, Fernsehen, Kinos, Internet und geteerte Straßen.
Trotzdem ist Nigeria ein Synonym für all das, was in Afrika schiefgelaufen ist. Es gehört zu den zehn größten Erdölproduzenten der Welt, aber es ist ein Land, in dem die Leute über einen Politiker denken, der sich nicht aus der Staatskasse bedient, dass er auf jeden Fall etwas an der Glocke haben muss. Und ein Land, in dem kaum ein Monat vergeht, in dem nicht gerade irgendwo ethnische Auseinandersetzungen wüten. Polizei und Armee sind so korrupt, dass sich in den Regionen der drei großen ethnischen Gruppen Stammesmilizen gebildet haben, die sich die Aufgaben der Sicherheitskräfte angeeignet haben. Das Land driftet auseinander und stand nach der Einführung der Scharia in einigen nördlichen Bundesländern und den Ausschreitungen im Februar 2000 zwischen Moslems und Christen in Kaduna wieder einmal am Rande des Bürgerkrieges.
Nigeria kann man nicht verstehen, wenn man eine Zahl nicht kennt: 419. Das ist die Nummer des Betrugs-Paragraphen im nigerianschen Strafgesetz. Jeder kennt
Weitere Kostenlose Bücher