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Afrika Quer (German Edition)

Afrika Quer (German Edition)

Titel: Afrika Quer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Boehm
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Häusern, Läden, Hütten, Baracken, Ständen an ihren Rändern, die ziel- und endlos immer weiter in die Wildnis wuchern. Durch ihre Straßen rasen tausende Okadas, kleine Motorräder, deren Fahrer sich für fundundzwanzig Cent oder weniger zwischen den Autos durch schlängeln, jede Verkehrsregel missachten und so halsbrecherisch fahren, dass man eigentlich mit dem Leben abgeschlossen haben muss, wenn man sich auf ihren Rücksitz traut.
    Die Hitze der nigerianischen Städte, ihr Lärm, ihr Staub und ihre Abgase sind schwer zu ertragen. Die Straßen sind übervölkert. Die Gehsteige sind mit den Waren der Händler belegt. Jeder scheint draußen zu leben. Die Wohnhäuser sind ohnehin zu heiß.
    Stundenlang kann man im Stau stehen. Die Straßenhändler lehnen sich mit frischem Trinkwasser, Zeitungen oder wabbeligem Weißbrot durch die offenen Fenster. „Ein paar Erdnüsse, Sah?“ Ratschlag eines Passagiers: „Halt bloß deine Tasche gut fest!“
    Noch nachts wirken die Städte überfüllt. Überall ist Bewegung, nirgends steht einer still. Es gibt keine Bedächtigkeit, keine ruhige Minute, kein Entkommen.

Der Emir von Dutse (Dutse)
    Auf den Emir von Dutse wurde ich durch einen Artikel in einer britischen Zeitschrift aufmerksam. Anlass des Beitrages war die Einführung des islamischen Strafgesetzes im nigerianischen Bundeslandes Jigawa – dessen Hauptstadt Dutse ist. Die Zeremonie dafür fiel jedoch aus, weil die Verantwortlichen Straßenschlachten wie im Februar 2000 in Kaduna befürchteten. Dabei hatte es mehr als 2.000 Tote gegeben.
    In dem Artikel hieß es über den Emir, er sei sehr gebildet und weit in der Welt herumgekommen. Aber das erstaunliche daran erschien mir eher, dass er für westliche Journalisten zugänglich schien.
    Traditionelle Herrscher wie den Emir von Dutse gibt es in Afrika fast überall. Sie sind Muslime oder Christen, ein paar sogar noch Animisten. Einige herrschen über Dörfer, andere über eine ganze Region und manche sogar über eine ganze ethnische Gruppe.
    Wo es sie ursprünglich nicht gab, haben sie die Kolonialmächte eingesetzt, um die von ihnen regierten Länder zu zentralisieren. Im Süden Nigerias tragen noch heute Chefs die britische Melone oder den Tropenhelm als Insignien ihrer Macht. Aber eines ist den traditionellen Herrschern allen gemein: Sie üben einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf ihre Subjekte aus, den die Politiker ihrer Länder nicht außer acht lassen dürfen.
    Die Hausa-Emire im Norden Nigerias sind wohl die bekanntesten und reichsten traditionellen Herrscher Afrikas. Sie haben die längste durchgängige Tradition – sie reicht bis ins 15. Jahrhundert zurück- , und als religiöse Führer der nigerianischen Muslime vereinen vor allem die Emire von Sokoto und Kano eine beträchtliche politische Macht auf sich.
    Mir erschienen die traditionellen Herrscher in Afrika immer als etwas archaisches, als Institution, die sich lange überlebt hat, die früher oder später sterben muss. Denn egal wie lange und ernsthaft ich auch darüber nachdachte, das afrikanische Konzept der Tradition blieb mir fremd.
    Ich konnte dazu einfach keine Gemeinsamkeit finden, keine Verbindung zu meinem Leben herstellen. Dort gab es so etwas wie Tradition nicht. Was es gab, waren Trachten, Folklore, etwas lächerliches, ansonsten nur rational begründetes Verhalten, das mit meiner Herkunft nichts zu tun hatte.
    Für Afrikaner jedoch war das anders. Wenn Afrikaner von Tradition sprachen, meinten sie die Überlieferung ihrer ethnischen Gruppe, die sie aus der Kindheit in ihren Dörfern nicht nur noch sehr gut kannten, sondern zumeist auch noch gelebt haben. Ihr kollektives Erbe war ständig präsent, und ihre Chefs gehörten dazu. Dadurch waren die in eine Sphäre gerückt, in der sie nicht antastbar waren.
    Deshalb war ich auch immer so erstaunt, in welchem Brustton der Überzeugung Afrikaner für ihre Tradition eintraten. Wenn ein Masai-Ältester, bevor ein kleines Mädchen unter schrecklichen Schmerzen beschnitten wurde, in seinem Lager verkündete: „So ist unsere Tradition. Keine Regierung, niemand kann sie uns verbieten.“ Meine 23-jährige kenianisch-somalische Bekannte Rahema mir unvermittelt erklärte: „Wer seine Tradition aufgibt, zerstört sich selbst.“ Oder ein südsudanischer Politiker mir in einem Interview sagte: „Wer seine Tradition vergisst, verliert die Orientierung und wird irgendwann verrückt.“ Dann blieb mir nichts anderes übrig, als zu schweigen und

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