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Afrika Quer (German Edition)

Afrika Quer (German Edition)

Titel: Afrika Quer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Boehm
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schreiben.
    Sein Vater war im übrigen einverstanden. Nun hatten wir die Missverständnisse ausgeräumt, dachte ich. Nun würde Toussaint sich keine falschen Hoffnungen mehr machen.
    Am nächsten Morgen holte ich ihn von zuhause ab, um ihn zur Schule zu begleiten. Das Grundstück, auf dem er mit seiner Familie lebte, sah nicht schlechter aus, als die anderen in Moursal auch. Es gab keinen Strom und kein fließend Wasser. Am Eingangstor war die übliche lehmummauerte Latrine, in der man auch kaltes Wasser über sich schöpfen, sich duschen konnte, und um den sandigen Hof standen fünf aus Ziegeln gebaute Baracken.
    Toussaint schlief noch fest in einer davon auf einer dünnen Bastmatte auf dem gestampften Lehmboden. Er stand auf, rieb sich kurz die Augen, zog ein hellbraunes T-Shirt über Beethoven und war fertig für den Unterricht.
    Seine neunjährige Schwester kam mit uns. Weil seine Mutter damals nicht genug Geld für die Schulgebühren hatte, wurde Toussaint drei Jahre zu spät eingeschult und war wie seine Schwester nun in der dritten Klasse. Auf dem Weg zur Schule schnappte sich das kleine meine Hand, schmiegte sich eng an mich und sagte: „Ich möchte auch mit nach Deutschland.“
    Grrrr! Ich drehte mich zu Toussaint, denn nur er konnte ihr den Unsinn eingeredet haben, und sagte ihm diesmal schon reichlich ärgerlich, dass ich niemanden mit nach Deutschland nehmen werde. Ich möchte nichts mehr davon hören. Habe ich mich nun deutlich ausgedrückt?
    Ja, sagte Toussaint. Aber von meiner Wut ließ er sich nicht aus der Ruhe bringen. Er blieb gelassen. Er hatte nichts falsch gemacht. Wer dann? Ich vielleicht?
    Außer Toussaint waren noch vier andere zu alte Jungen in der dritten Klasse. Sein Freund Ferdinand zum Beispiel, der am Nachmittag gefälschte Medikamente aus Ostasien auf dem Markt von Moursal verkaufte; und ein zweiter, der gerade mit einem langen, dünnen Stock die jüngeren Schüler aus dem Klassenzimmer vertrieb.
    Er war erst elf, aber schon ganz der kleine Polizist. Er riss seine Rute theatralisch in die Höhe, vollführte mit weit ausholenden Bewegungen einen Tanz um die Kinder herum, schlug sie nur leicht, trieb sie mehr wie Vieh vor sich her und stellte sich breitbeinig in die Tür, bis die jüngeren in drei krummen Reihen vor dem Klassenzimmer angetreten waren.
    Was um Himmels macht der da?, fragte ich, sicher, dass der 11-jährige seine jüngeren Mitschüler gängelte, weil die Lehrerin nicht da war, um ihn zurechtzuweisen.
    Er war erstaunt, wurde kurz unsicher, hielt inne. Aber die anderen Kinder sagten wie selbstverständlich, die Lehrerin hat ihm den Auftrag gegeben, in der Klasse für Ordnung zu sorgen - und er machte weiter.
    Als ich in der ersten Pause vor dem Schultor stand, kam auf einmal ein Mädchen angesaust. „Schlägerei, Schlägerei!“, rief sie freudig aufgeregt. Dann folgte ich auch schon einer Kinderschar, die zu einer kleinen Wiese hinter der Mauer des Schulhofes rannte.
    Dort führten zwei ältere Jungen eine Art Kriegstanz auf. Einer hatte einen Stock, der zweite eine Machete in der Hand. Sie wirbelten damit wild durch die Luft und taten so, als ob sie gleich ihr Publikum in Stücke hauen würden.
    Als mich einer der Jungen unter den Zuschauern sah, riss er dem anderen Kind die Machete aus der Hand und schlug noch viel wilder auf den Boden ein und auf einen Baum. Ich floh, bevor jemand verletzt werden konnte.
    Toussaints Schule hieß „Schule zur Schönen Aussicht“. Sie war eine große Grundschule, in den siebziger Jahren gebaut, mit vier flachen Gebäuden, die um einen sandigen Hof gruppiert waren. Darin waren jeweils drei Klassenräume untergebracht.
    In Toussaints Klassenzimmer standen Tische und Bänke für alle Kinder, und an der Stirnwand hing eine Tafel. Im Zimmer der Erstklässler gleich nebenan gab es jedoch keine Möbel, keine Tafel, überhaupt nichts außer dem nackten Raum. Dort saßen die Schüler auf dem Boden und lernten.
    Moursal war jedoch kein Elendsviertel. Mit seinen vielen Bäumen und Gärten erinnerte das Viertel ein bisschen an eine deutsche Kleingartenanlage, ohne Blumen und ohne viel Grün vielleicht. Die Straßen waren auch viel dreckiger, und weil es keine Kanalisation hat, und in den Gräben am Straßenrand überall das Abwasser steht, stank es ganz erbärmlich.
    Trotzdem war es kein Slum - zumindest nicht innerhalb des Tschad. Denn in Moursal lebten vor allem kleine und mittlere Staatsbeamte. In Erinnerung an die Zeit, als Francois Tombalbaye

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