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Afrika Quer (German Edition)

Afrika Quer (German Edition)

Titel: Afrika Quer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Boehm
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sie. Jeder weiß, was damit gemeint ist. 419 beschreibt weniger eine Straftat als ein Lebensgefühl, eine Chance, die jeder nutzt, der sie nutzen kann. Ohne Rücksicht auf Verluste.
    In Kano habe ich eines Abends einen Unfall miterlebt. Ich saß auf dem Rücksitz eines Motorradtaxis. Wir fuhren bestimmt achtzig Stundenkilometer, aber die Fahrzeuge drängten sich Stoßstange an Stoßstange auf der zweispurigen Stadttangente, und vor uns geriet ein Fahrradfahrer zwischen zwei Autos. Das eine machte einen Schlenker nach rechts, das andere einen nach links. Der Fahrradfahrer stürzte. Wir konnten gerade noch ausweichen, um ihn nicht zu überfahren, und als ich mich umdrehte, brach der Verkehr schon wieder über ihm zusammen wie eine Woge in der Brandung.
    Mein Fahrer fuhr einfach weiter. Genauso wie alle anderen um uns herum. Keiner machte irgendwelche Anstalten, anzuhalten und zu gucken, ob dem Fahrradfahrer etwas passiert ist. Wen kümmerte ein Menschenleben mehr oder weniger. Deshalb musste sich niemand Sorgen machen oder gar anhalten. Der Fahrradfahrer war Übersatz, alltäglicher Verlust, ein zerquetschter Frosch auf einer Landstraße. Mehr nicht.
    Aber bevor ich nach Nigeria kam, musste ich erst noch durch den äußersten Nordzipfel Kameruns fahren. Diesen dünnen Landstreifen hat Deutschland vor mehr als hundert Jahren ausgehandelt, damit seine Kolonie einen Zugang zum Tschad-See bekam.
    Bevor wir losfuhren, steckte sich unser Fahrer ein Bündel 500-Francs-CFA-Scheine - umgerechnet jeweils achtzig Cent - in die Brusttasche. An jedem Polizeiposten sprang er nun heraus und reichte jedem Uniformierten einen Schein. Die meisten ließen im Schatten eines Baumes den Herrgott einen guten Mann sein. Natürlich hatte er vorher dieses Wegegeld auf unseren Fahrpreis aufgeschlagen.
    Am witzigsten fand ich den gutmütig dreinschauenden Polizisten mit der über dem Bauch spannenden Uniform, der sich unmittelbar hinter einer Mautkontrolle postiert hatte. Ihn hatte unser Fahrer offenbar nicht auf der Rechnung.
    Er saß breitbeinig am Straßenrand am Boden auf einer Plane und schälte gemütlich das Gemüse für sein Mittagessen. Unser Fahrer tat so, als ob er ihn nicht bemerkte. Aber der Polizist pfiff auf seiner Trillerpfeife und winkte ihn energisch heran.
    Der Fahrer war darüber nicht glücklich. „Aber nein, mein Kommandant!“, rief er flehend aus dem Auto. Aber es war nichts zu machen. Der dicke Polizist pfiff erneut. Auch er wollte seine 500 FCFA haben.
    In Nigeria, auf der Strecke nach Maiduguri, war die Landschaft dann noch trostloser als im Westsudan und im Tschad. Sie hatte etwas post-apokalyptisches. Die Welt war nutzlos geworden, nicht mehr bewohnbar, tot.
    Hier sollte eigentlich keine Wüste sein. Aber nichts hatte die Menschen und ihre Herden überlebt. Selbst die mickrigen, blattlosen Büsche und Sträucher, die sich sonst noch in der ödesten Gegend halten, waren verschwunden.
    Um die Stadt Dutse, 400 km weiter westlich, erzählte mir der Emir später, waren vor zwanzig Jahren alle Hügel der Gegend noch mit Wäldern bewachsen. Damals gab es dort wilde Affen. Heute ist alles kahl.
    Dass so etwas wie eine Fata Morgana wirklich existiert, habe ich instinktiv immer für Wüstenlatein gehalten. Denn dass immer genau dann, wenn der Wüstenbesucher zu verschmachten drohte, eine virtuelle Oase auftauchen sollte, war mir schon als Kind wie von Hollywood erfunden erschienen. Aber es gibt sie wirklich. Ich habe sie gesehen.
    Fata Morganas entstehen über heißen Flächen, weil die Luftdichte und damit der Brechungsindex dort viel kleiner ist als in der Höhe. Deshalb spiegelt sich das Blau des Himmels auf der Oberseite der stark erhitzten Luftschicht.
    Ich bat innerlich darum, dass wir hier mit unserem Peugeot 504 keine Panne haben würden. Der Fahrtwind war so heiß wie die Luft eines Badezimmerföns, und die wüsten Flächen, die sich in spiegelnde Seen verwandelten, waren mir unheimlich. In dieser lebensfeindlichen Gegend die unwirklichen, zum abkühlenden Bad verführenden Seen zu sehen, machte mir Angst, und ich war immer froh, wenn wir uns wieder einer Ortschaft näherten.
    Ich übernachtete in Maiduguri. Wie in solch überfüllten Ländern wie Indien oder China gibt es in Nigeria Millionenstädte, deren Namen die wenigsten überhaupt schon einmal gehört haben. Maiduguri ist so eine. Wie Lagos und Kano auch sind diese Städte riesig und ohne richtiges Zentrum. Jeden Tag entstehen neue Viertel mit einstöckigen

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