Agnes: Roman (German Edition)
Stock …«
Ich hatte die Nummer meiner Wohnung vergessen und mußte dem Portier meinen Namen buchstabieren. Bedächtig blätterte er die Liste der Hausbewohner durch, bis er mich endlich fand. Dann entschuldigte er sich umständlich und erklärte mir, er sei neu, er mache nur seinen Job, es hätten sich Mieter beschwert, daß Fremde sich im Haus herumtrieben.
»Spazierengegangen?« sagte er mechanisch. »Schrecklich kalt draußen.«
Agnes war nicht in der Wohnung. Ein Teil ihrer Kleider fehlte im Schrank, und das Cello und ihre Toilettensachen waren weg.
Ich legte mich ins Bett, ohne mich auszuziehen. Als ich aufwachte, war es hell. Das Telefon klingelte. Es war Agnes. Sie sei zu Hause, sagte sie, in ihrer Wohnung.
»Wie spät ist es? Ich habe geschlafen.«
»Ich hole meine Sachen heute abend nach der Uni. Ich möchte nicht, daß du da bist. Ich gebe den Schlüssel beim Portier ab.«
»Und das Kind?«
»Du brauchst dich nicht darum zu kümmern. Es ist mein Kind. Ich gehe nach New York, zu Herbert, wenn es soweit ist.«
Es war schon Nachmittag. Während ich geschlafen hatte, schien Agnes alles geregelt zu haben. Ich hatte mich bei ihr entschuldigen wollen, aber nun war es zu spät. Sie hatte sich entschieden.
»Du willst kein Kind«, sagte sie, »und du kriegst kein Kind.«
Sie legte auf.
Am Abend ging ich in die Bibliothek. Ich holte irgendwelche Bücher an der Ausleihe, setzte mich in den Lesesaal und las. Ich konnte mich nicht konzentrieren und merkte, daß ich minutenlang auf dieselbe Seite starrte. Ich dachte an Agnes, daran, wie sie jetzt in meiner Wohnung war und ihre Sachen zusammenpackte. Sie hatte also Herbert angerufen. Ich hatte immer den Verdacht gehabt, daß er ihr mehr bedeutete, als sie zugab. Und daß er sie liebte, war mir schon klar gewesen, als sie von ihrer Diplomfeier erzählt hatte.
Ich ging erst nach Hause, als die Bibliothek schloß. Die Wohnung sah aus wie vorher. Aus einem Haufen ungebügelter Kleider hatte Agnes ihre Sachen herausgesucht. Meine Hemden und T-Shirts hatte sie zusammengelegt und im Wandschrank verstaut.
21
Einige Tage später rief ich Agnes in der Universität an. Die Sekretärin sagte, sie sei schon nach Hause gegangen. Ich versuchte es in Agnes’ Wohnung. Eine Computerstimme antwortete: »Sorry, this number has been disconnected.« Ich wartete, aber die Stimme wiederholte nur immer denselben Satz. Ich schrieb Agnes einen Brief und schickte ihn an die Universität. Ich bekam keine Antwort.
An einem Abend, vielleicht eine Woche nach Agnes’ Auszug, wartete ich in der Straße, in der sie wohnte, auf sie. Ich setzte mich in einen Coffee Shop. Von meinem Platz aus konnte ich den Eingang ihres Hauses sehen. Agnes kam zur gewohnten Zeit von der Uni. Sie trug eine Papiertüte mit Einkäufen und verschwand im Haus, ohne sich umzublicken. Etwas später ging das Licht in ihrer Wohnung an. Das war alles. Ich wartete noch einige Zeit und schaute hinauf zu den erleuchteten Fenstern, bis der Kellner kam und fragte, ob ich noch irgend etwas wünsche.
»Nein«, sagte ich, bezahlte und ging.
Der November war kalt und regnerisch. Ich ging wieder in das Café in Agnes’ Straße, immer häufiger, schließlich jeden Tag. Ich kaufte in den Läden in ihrem Viertel ein, brachte am Samstag meine Wäsche mit und wusch sie im Waschsalon, in dem Agnes ihre Wäsche wusch. Auch in das indische Restaurant ging ich wieder, in dem wir uns zum erstenmal verabredet hatten. Ich hoffte nicht, Agnes an einem dieser Orte zu treffen, aber ich fühlte mich ihr dort näher.
Fast jeden Abend ging ich aus, meistens ins Kino und danach in eine Bar. Ich kam kaum mehr ins Bett, ohne betrunken zu sein. Tagsüber hielt ich es in der Wohnung nicht aus. Ich verbrachte ganze Tage in der Bibliothek, ohne zu arbeiten, bestellte mir einen Kriminalroman und setzte mich damit in den Lesesaal.
»Ist das deine Arbeit?« fragte jemand hinter mir. Ich drehte mich um und sah Louise. Sie nahm mir das Buch aus der Hand und las mit gespieltem Erstaunen: » Murder with Mirrors von Agatha Christie. Du solltest Murder on the Orient Express lesen, darin kommen wenigstens Luxuswagen vor.«
Jemand zischte, wir sollten leise sein.
»Trinken wir einen Kaffee?« fragte Louise unvermindert laut.
Ich folgte ihr aus dem Lesesaal und aus dem Gebäude.
»Nicht hier«, sagte ich, als sie in den Coffee Shop gehen wollte, in dem ich zum erstenmal mit Agnes Kaffee getrunken hatte. Aber wir fanden kein anderes Lokal in der Nähe,
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