Agnes: Roman (German Edition)
und ich sagte, es sei schon in Ordnung, ich sei nur sentimental. Ich erzählte Louise von Agnes und daß sie mich verlassen habe. Von dem Kind sagte ich nichts.
»Ich bin nicht in der Verfassung zu arbeiten«, sagte ich.
»Agnes«, sagte sie. »Ein lustiger Name. War das deine kleine Freundin, die Amerikanerin mit der Wollunterwäsche?«
»Ja.«
»Ich glaube, ich muß mich ein wenig um dich kümmern.«
Noch am selben Abend rief Louise mich an. Ihre Eltern hätten für Thanksgiving ein kleines Mittagessen geplant. Es kämen nur Geschäftsfreunde ihres Vaters, und sie würde sich freuen, einen Tischgenossen zu haben, der über etwas anderes rede als über Kornernten und Schweinebauch. Louise lebte bei ihren Eltern in Oak Park, einem Villenvorort Chicagos. Ich sagte, ich würde kommen.
Nach dem Gespräch mit Louise hatte ich ein schlechtes Gewissen. Es war mir, als hätte ich Agnes betrogen. Vielleicht öffnete ich deshalb seit Wochen zum erstenmal die Geschichte über sie in meinem Computer und las alles, was ich bisher geschrieben hatte. Ich war nie über jene Szene im Treppenhaus hinausgekommen, jenen Traum, in dem Agnes zu mir sagte, sie fürchte sich vor mir. Ich löschte den letzten Abschnitt und las noch einmal, wie wir uns im Zoo die Heirat versprachen. Ich schrieb.
Wir küßten uns.
Dann sagte Agnes: »Ich bekomme ein Kind.«
»Ein Kind?« sagte ich. »Das ist nicht möglich.«
»Doch«, sagte sie.
»Warum? Hast du die Pille vergessen?«
»Der Arzt sagt, es kann auch mit der Pille passieren. Ein Prozent der Frauen, die die Pille nehmen …«
»Es richtet sich nicht gegen dich oder das Kind. Ich will nicht, daß du denkst …«, sagte ich, »aber ich habe Angst davor, Vater zu werden. Was kann ich einem Kind schon bieten … ich meine nicht Geld.« Wir schwiegen. Schließlich sagte Agnes: »Dinge geschehen. Du wirst es nicht schlechter machen als die anderen. Wollen wir es nicht wenigstens versuchen?«
»Ja«, sagte ich, »wir werden es schon irgendwie schaffen.«
22
»Frank Lloyd Wright hat etwa dreißig Häuser in Oak Park gebaut«, sagte Louises Vater. Er hatte einen stärkeren französischen Akzent als seine Tochter.
»Und Hemingway ist hier geboren«, sagte Louises Mutter. »Die Schweiz ist ein wunderbares Land. Letztes Jahr waren wir in Stanton.«
»St. Anton ist in Österreich, chérie «, sagte ihr Mann und wandte sich wieder an mich. »Ich höre, Sie schreiben Bücher?«
»Louise hat uns alles über Sie erzählt«, sagte die Mutter, »sie mag Sie. Und wir sind froh, wenn sie etwas zur Ruhe kommt. Unsere Männer sind so unseriös. Ich selbst habe ja auch einen Europäer geheiratet.«
Sie zwinkerte ihrem Mann zu, der entschuldigend lächelte und sagte: »Wir haben uns in Paris kennengelernt. Meine Frau war nach Europa gekommen, um sich einen Adligen zu angeln. Schließlich nahm sie mit mir vorlieb.«
»Ich hoffe, Sie mögen Truthahn«, sagte die Mutter. »Es gibt ein richtig traditionelles Thanksgiving-Essen.«
Ich war froh, als Louise kam, sich bei mir einhakte und mich von ihren Eltern wegzog.
»Ich zeige ihm den Garten«, sagte sie.
Ihre Mutter blinzelte mir zu und sagte: »Aber natürlich. Ihr jungen Leute wollt allein sein.«
Wir gingen durch den Garten. Unter einem riesigen Ahorn lag ein leuchtendblauer Pool. Auf dem Wasser schwamm trockenes Laub. Es war kalt, und wir fröstelten, aber die Sonne schien und brannte auf der Haut. Die Luft war trocken und sehr klar. Wenn man in die Baumkrone schaute, war der Himmel zwischen den tiefroten Blättern fast schwarz.
»Ich finde es immer erstaunlich, wieviel farbiger hier alles ist«, sagte ich, »das Laub der Bäume, der Himmel, sogar das Gras. Es ist in allem viel mehr Kraft als in Europa. Als sei alles noch ganz jung.«
»Der Mensch lebt und stirbt in dem, was er sieht, sagt Paul Valéry, aber er sieht nur, was er denkt«, sagte Louise ironisch.
»Ich glaube wirklich, daß die Farben hier anders sind. Vielleicht hat es mit der Luft zu tun.«
»Mein kleiner Thoreau. Sei bitte nicht naiv. Dieses Land ist so alt oder so jung wie alle anderen.«
»Aber hier habe ich das Gefühl, daß noch alles möglich ist.«
»Weil du hier keine Geschichte hast. Das Bild, das sich die Europäer von Amerika machen, hat mehr mit ihnen selbst zu tun als mit Amerika. Das gilt natürlich auch umgekehrt. Der Großvater meiner Mutter war Chefredakteur der Chicago Tribune . Aus einer alten englischen Familie, die ihren Stammbaum auswendig kennt, bis ins
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