Agrarwende jetzt
Mensch isst im Durchschnitt jährlich zirka 90 Kilogramm Tier. Das halten wir für normal. Aber der Aufschrei über das Töten von 400 000 Rindern, die nicht gegessen, sondern verbrannt werden sollen, ist riesig.
Für die Tiere macht es wohl keinen Unterschied, ob sie getötet werden zur »Marktbereinigung« oder um gefressen zu werden. Tod ist tot. Und tot bleibt tot. Vernichtet oder verzehrt zu werden, ist wahrscheinlich für Tiere keine Frage - auch wenn wir uns noch so sehr darüber ereifern. Der Großmetzger Magnus Bach meint: »Dass ein Tier irgendwann geschlachtet wird, akzeptiere ich als Teil meines Berufes. Aber die von der Regierung angeordnete Zwangstötung von Tieren und die Vernichtung des Fleisches empfinde ich als eine Sünde gegenüber der Natur.«
Unbedenklich ist es also, Tiere zu quälen, Tiere zu schlachten und Tiere zu essen. Bedenklich hingegen ist es, Tiere zu quälen, Tiere zu schlachten und Tiere nicht zu essen. Das ist die Doppelmoral unserer Fleischeslust, die die »Zeit«-Autorin Iris Radisch scheinheilig nennt: »Nicht, wie Brecht noch glaubte, nach dem Fressen, sondern ohne Fressen kommt die Moral.« Der Geschäftsführer der größten deutschen Tierkörper-Beseitigungsanlage im niedersächsischen Behn-Icker, Ludwig Heitz, sieht sich jetzt nur noch als Rinderschinder: »Ein bisschen Berufsethos hat man ja noch, das ist doch pervers, der reine Irrsinn.«
Das Tierschutzgesetz in Deutschland schreibt vor: »Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.« Gibt es für ein Tier etwas Schädlicheres als den Tod? Nur weil der Terror unseres Gaumens es verlangt, wird das Essen von Tieren in den fleischessenden Gesellschaften zu einem »vernünftigen Grund« erklärt.
8. Tiertourismus ist Terrorismus
Vor dem Schlachten werden Schweine, Rinder und Schafe häufig tagelang durch ganz Europa transportiert. Wir haben heimlich mit der Fernsehkamera beobachtet und dokumentiert, dass die ausgelaugten und völlig verwirrten Tiere bis zu 20 Stunden ohne Fressen und Trinken ausharren mussten - in brütender Hitze oder klirrender Kälte. Der Tiertourismus aus ökonomischen Gründen ist reiner Terror. Ohne jeden Sinn und Verstand und erst recht ohne jede Moral! Wir Deutsche exportieren 40 000 Tonnen Schweinefleisch jährlich nach Großbritannien und importieren aus England 35 000 Tonnen. Und das alles nur, um ein paar Pfennige zu sparen.
Tiertransporte geschehen ohne vernünftigen Grund - warum werden sie nicht bestraft oder abgeschafft?
• Jährlich überleben eine Million Schweine in Deutschland die Tiertransporte nicht.
• 43 Millionen Legehennen müssen jeweils auf einer Fläche von der doppelten Größe dieser Buchseite leben.
• Von den 250 000 Millionen Rindern, Schweinen, Pferden und Schafen, die jährlich quer durch Europa transportiert werden, kommen zehn Millionen tot am Zielort an.
Noch einmal Iris Radisch: »Dass es vernünftig sei, Tiere in gewaltigen Mengen zu verzehren, ist der unantastbare Glaubensgrundsatz der Fleisch fressenden Zivilisation. Erst wenn das Fressen als vernünftiger Grund für das große Schlachten ausfällt, kommt Mitleid auf.«
»Gotteslästerung«, nennt Karl Ludwig Kohlwage, evangelischer Bischof in Lübeck, die Massenschlachtung aus ökonomischen Gründen. Was aber sind Massentierhaltungen und Tiertransporte, die den Massenschlachtungen vorausgehen? Den eigentlichen Skandal, die eigentliche Sünde, nennt der Bischof nicht beim Namen.
Mit zweifelhaftem Mitleid ist den Hühnern und Hähnen in ihren Käfigen so wenig geholfen wie den Schweinen und Kühen, die nicht ein einziges Mal in ihrem kurzen Leben das Licht der Sonne gesehen haben. Geholfen ist den Tieren erst, wenn wir unseren Fleischkonsum drastisch reduzieren oder vegetarisch leben. In Wirklichkeit verrät die ganze Diskussion um BSE und Schweinepest einen Hunger nach Moral, die diesen Namen auch verdient.
Wer Tiere isst, dem tun sie kaum wirklich Leid. Wir verwechseln allzu leicht Moral mit Sentimentalität. So wird ein Stück Fleisch in unserer Sprache immer noch mit »ordentlich« qualifiziert, während Vegetarier eher die herrschende Ordnung stören. Der Mythos vom Eiweißbedarf, der nur durch Fleischverzehr gedeckt werden kann, gilt noch immer - nicht nur in den Anzeigen der Fleischindustrie. Mythen haben weiter Bestand - auch 200 Jahre nach der Aufklärung. Warum zum Beispiel finden Fleischfreunde das Verspeisen von Rindern, Schweinen und Hühnern
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