Agrippina - Kaiserin von Rom
Legionäre bildeten auch im Marsch einen Kreis um die beiden Tribune, als erwartete man eine plötzliche Flucht der Gefangenen. Am Stadttor wartetenzwei weitere Soldaten mit den Pferden sowie eine große geschlossene Kutsche. In schnellem Tempo ging die Fahrt durch die tief verschneiten Wälder. Mit Wehmut dachte Valerius an Dirana, als sie das Örtchen Durnomagus passierten. Irgendwo dort, hinter der hügeligen Waldlandschaft, freute sich Dirana bereits auf das Wiedersehen mit ihrem geliebten Tribun. Ein Blick auf das finstere Gesicht seines Freundes zeigte, dass dieser ebenso an Antonia dachte. Schweigend blickten sie aus dem Fenster, argwöhnisch beobachtet von zwei Legionären, die ebenfalls in der Kutsche saßen. Der Optio und die übrigen seiner Männer ritten neben der Kutsche.
Nie war ihnen die Fahrt ins Legionslager nach Novaesium so lange vorgekommen wie jetzt, und es schien Stunden zu dauern, ehe das Haupttor des Lagers in Sicht kam. Inzwischen hatte dichtes Schneetreiben eingesetzt, der Kutscher verlangsamte spürbar das Tempo. Schwere dunkle Wolken waren von Osten aufgezogen und machten den jungen Tag zur Nacht.
»Brrrrrrrrrrrrrr! Verdammte Gäule! Werdet ihr wohl stehen bleiben!« Der Kutscher hatte seine liebe Not, die Pferde auf dem glatten Geläuf zum Stehen zu bringen. Die Kutsche wurde von einer Wachmannschaft umringt, und man brachte die beiden Gefangenen wortlos in zwei nebeneinander liegende Arrestzellen der Präfektur. Mit einem kräftigen Tritt ließ der Wächter die schwere Eisentür ins Schloss fallen. Eine unheimliche Stille senkte sich über die Männer.
»Wie wird es weitergehen? Hast du eine Ahnung?«
» Tacete statim – Sofort schweigen!« Die blecherne Stimme des Wachhabenden unterband jede Kontaktaufnahme zwischen den Freunden.
Es dauerte bis zum Mittag, bevor Valerius von zwei Legionären abgeholt und zum Legionskommandanten gebracht wurde. Valerius hatte sich schon zurechtgelegt, was er Cassius Iunius Silanus sagen würde, den er auf seiner Seite wähnte. Es schien doch kaum erst ein paar Tage her gewesen zu sein, seit sie hier, in diesem Zelt, zusammen mit ihm die Pläne für die Rettung des Kaisers durchdacht hatten. Sicher, sie hatten den Urlaub um mehr als eine Woche überzogen, und darauf stand auch für Offiziere Strafe, aber der Legat konnte doch jetzt nicht ...
Aber es war nicht das vertraute Gesicht des Silanus, das ihm vom Schreibtisch des Kommandanten entgegenblickte. Dort saß ein gänzlich unbekannter Mann, hager und fast kahlköpfig, mit sauertöpfischer Miene, und wie der asketische Mund verriet, völlig humorlos. Wie ein Blitz schoss ihm durch den Kopf, was ihm Pallas in Rom gesagt hatte: »Wir haben den Legat durch einen zuverlässigeren Mann ersetzt!« Bei den Göttern, das hatte er völlig vergessen!
»Tribun Marcus Valerius Aviola?« Das kam aus schmalen, zusammengepressten Lippen und verriet wenig Sympathie für sein Gegenüber.
Valerius nickte. »Ich möchte ...«
»Schweig! Hier rede ich, und du redest nur, wenn du gefragt wirst! Ich bin Septimius Varonus Severus, der Legat der 16. gallischen Legion. Der neue Legat!« Das Letztere betonte er sehr nachdrücklich, und der Anflug eines dünnen Lächelns stahl sich über sein Gesicht, während seine Hände mit einer Schriftrolle spielten, die unzweifelhaft das kaiserliche Siegel schmückte. Valerius sah es mit Erstaunen, schwieg aber.
»Mag sein, dass du hier jemand anderes erwartet hast, aber der neue Cäsar, die Götter mögen alle Zeit mit ihm sein, hat die Legion in dankenswerter Weise von allen verräterischen Elementen gesäubert. So weit ich weiß, hat der Henker schon das Haupt des Cassius Iunius Silanus abgetrennt!«
Der Legat genoss das ungläubige Staunen des Tribuns mit sichtbarem Behagen.
»Nun zu dir, Tribun Valerius Aviola. Du hast deinen Urlaub überzogen, Tribun.« Er warf einen Blick auf die Schriftrolle vor ihm und fuhr mit schneidender Stimme fort. »Und zwar nicht um einige Tage, nicht um eine Woche, sondern um mehr als vier Wochen. Wir hatten dich und deinen Freund Gaius Tullius schon auf die Liste der Deserteure setzen wollen, aber offensichtlich habt ihr es euch doch anders überlegt.«
»Wieso vier Wochen? Man hatte uns acht Wochen Urlaub gewährt. Außerdem der Winter! Über die Pässe war kein Durchkommen, und so mussten wir ...«
»Du sollst schweigen! Hat man dir keinen Gehorsam beigebracht, Soldat?« Voller Zorn schlug er mit seinem Legatsstab aufden Tisch und funkelte
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