Agrippina - Kaiserin von Rom
Bibliothek.«
In dem kleinen, aber geschmackvollen Baderaum seines Gastgebers legte Valerius seine Rüstung ab und wusch sich gründlich. Mit dankbarem Blick sah er, dass Seneca eine frische Tunika für ihn hatte bereitlegen lassen.
In Senecas Bibliothek standen an allen Seiten Schränke und Regale, die mit Buchrollen, Schriften und Dokumenten voll gestopft waren. Kleine rote Bändchen gaben den Autor an. Der Philosoph selbst saß auf einem bequemen Sessel und bedeutete Valerius, auf dem zweiten Sessel Platz zu nehmen. Der Tribun sah sich um. Auffallend waren die vielen gleichartigen Tischchen aus Citrusholz, die einen angenehm herben Duft abgaben. Der stadtbekannte Philosoph schien diese Art von Holz besonders zu lieben.
»Ein sehr komfortables Haus. Nicht zu groß, aber sehr geschmackvoll und gemütlich. Und so ruhig.«
»Ruhig ist es, in der Tat. Du müsstest mich einmal in meiner Wohnung in Baiae besuchen.«
Senecas Lippen umspielte ein feines Lächeln. »Die liegt über einer Badeanstalt. Das ist kein Spaß. Von allen Seiten umtönt mich dort Lärm vielfältigster Art: Kraftprotze üben und schwingen ihre mit Blei beschwerten Hände; sie mühen sich ab oder tun so, als ob sie sich abmühten, sie zischen und atmen gepresst und stöhnen, wenn sie den angehaltenen Atem wieder ausstoßen.«
Valerius musste lauthals lachen, und der Philosoph fuhr schmunzelnd fort: »Wenn ich an jemanden geraten bin, der träge ist und sich mit dem gewöhnlichen Einsalben begnügt, höre ich die Handklatschen, die auf die Schulter schlägt; je nach der Art, wie sie schlägt, klingt es flach oder hohl. Nimm die Ballspieler, die laut ihre Bälle zählen und darüber in Streit geraten. Dann füge noch einen zänkischen Menschen hinzu, einen ertappten Dieb und einen, dem die eigene Stimme im Bad gefällt, dazu noch die, die ins Schwimmbecken springen mit dem tosenden Geräusch aufspritzenden Wassers. Dazu die Haarzupfer, die, um sich besser bemerkbar zu machen, ihre schrille Stimme in infernalischem Crescendo ertönen lassen, dazu ihre Opfer, die nicht weniger schreien. Getränkehändler, Wursthändler, Zuckerbäcker und alle Inhaber von Garküchen, die ihre Ware in kakophonischem Stimmengewirr anpreisen.«
Valerius konnte sich gut in diese Situation hineinversetzen, in den Thermen Roms ging es nicht anders zu.
»Aber ich schwatze und schwatze, verzeih, edler Valerius. Du bist nicht gekommen, um das Geschwätz eines alten Mannes anzuhören.«
Die Tür öffnete sich, und zwei Sklavinnen brachten den versprochenen Imbiss: kaltes Huhn, umlegt mit hart gekochten Eiern, rohen Salaten und Pilzen, außerdem eine Schüssel mit Krustentieren und Fischstücken in Garum, der unvermeidlichen Soße. Dazu reichten die Sklavinnen tiefroten, mit Wasser vermischten Wein, der aus einer mit feinem Silber ziselierten Schale mit Henkel und Fuß getrunken wurde.
Schweigend aßen die beiden Männer, und besonders Valerius griff tüchtig zu, denn außer der Erbsensuppe hatte er bislang noch nichts zu sich genommen, und die lag schon einige Stunden zurück.
»Also, mein Freund, was kann ich für dich tun?«, fragte Seneca und nahm einen tiefen Zug aus der Weinschale.
Der Tribun kaute genüsslich auf einem Stück Fisch herum, wischte sich den Mund ab und entgegnete: »Ich brauche einen Rat, und zwar nicht von irgendeinem, sondern von dem besten Kopf Roms, wie Senator Faustus Cornelius sagen würde.«
»Das Kompliment ehrt mich, es kommt mir aber kaum zu. Gleichwohl, worum geht es?«
Und nun erzählte Valerius von dem Dilemma, in das er unvermutet geraten war. Er verschwieg nichts und schilderte insbesonderedie Szene genau, die sich in den Räumen der Augusta abgespielt hatte. Nur den zugesteckten Zettel ließ er unerwähnt.
»Wie soll ich mich nun verhalten? Führe ich den Auftrag des Kaisers durch, so handele ich gegen den Befehl der Augusta. Tue ich, was die Kaiserin befiehlt, begehe ich Treuebruch am Kaiser und verletze meinen Tribuneneid. Wer kann wissen, was mir mehr schadet oder nützt?«
Wie zum Trost griff er nach einem weiteren Stück Fisch und spülte es mit einem Schluck Wein herunter. Der Philosoph sah den Offizier schweigend an und schüttelte dann den Kopf.
»Wenn es dir um meine Meinung geht« – er unterbrach seine Worte und nippte an der Weinschale – »so rate ich dir: Tu, was die Augusta von dir verlangt. Ich spüre, dass sie in Rom noch herrschen wird, wenn Claudius schon bei den Göttern weilt. Ihr und dem jungen Prinzen,
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