Agrippina - Kaiserin von Rom
durch die Menge. Er ist offensichtlich spät dran, und Verspätungen ahndet der Lehrer mit Schlägen, da gibt es keine Entschuldigung. Endlich erreicht er völlig außer Atem die nächste Ecke, an der ein Magister hinter einem verschlissenen Vorhang seine Schola eingerichtet hat. Hier wird buchstabiert und deklamiert, skandiert und zitiert.
»Fingerringe, Ketten, Anhänger aus Bernstein! Kauft bei Aurelius Servandus, Leute! Alles zu fairen Preisen! Alles handgearbeitet! Kein billiger Import aus Britannien!« Lauthals preist ein feister, schwitzender Mann seine Ware und wedelt mit den Ketten, als gelte es, die Fliegen zu vertreiben, die einen Honigstand nebenan umlagern.
»Frisches Fleisch aus eigener Schlachtung! Gallische Würste, gehackter Braten im Brotteig! Wer hätte bessere Ware als Mainonius Victor?« Einer scheint den anderen übertönen zu wollen.
Mit wachen Augen betrachtet der Tribun die Menschen, die an ihm vorüberflanieren. Heute scheint jeder Zeit zu haben. Patrizier in makelloser Toga und ihre Frauen in ihrer besten Palla wandeln lässig unter den Schatten spendenden Arcaden entlang. Dazwischen Gallier und Germanen, oft langhaarig und mit zerzausten Bärten – für römische Augen eine Qual!
Überall sind fremdländische Laute zu hören, man spricht nicht nur Latein: Griechisch, gallische Dialekte, kehlige germanische Laute, ägyptische Sprachfetzen gar, alles ist hier vertreten. Ein buntes Gemisch aus allen Völkern und Ländern, und doch scheinen sie gut miteinander zurechtzukommen.
Der da will nicht so recht in die feine Menge passen ... Ein kleiner, recht zerlumpt wirkender Junge wieselt mit schnellen Schritten durch das Getümmel, in seiner verschwitzten Hand ein Geldbeutel, den er wohl eben erst von seinem Besitzer losgeschnitten hat, wie das kleine Messer in der anderen Hand verrät.
Valerius setzt sich auf eine Marmorbank vor das Nordtor und betrachtet amüsiert das bunte Treiben. Die Ubierstadt und ihre bunte Bevölkerung gefallen ihm. Hinter ihm stehen die Veteranen, die das Tor bewachen. Sie tun ihren Dienst nachlässig, schwatzen viel und kontrollieren wenig. Nur so ist es wohl möglich gewesen, dass einer wie Catuvolcus unbemerkt die Stadt betreten kann.
Ein mit Baumaterialien beladener Karren rollt durch das Tor. Das sind die einzigen Wagen, die tagsüber in die Stadt dürfen. Müde trotten die Maulesel daher und betrachten gleichgültig das vor ihnen liegende Gewimmel.
Valerius beschließt, seinen Spaziergang in den Thermen zu beenden und sich dort verwöhnen zu lassen. Seit jenem Vorfall, derden Tribun fast das Leben gekostet hat, begrüßt ihn der Besitzer Gaius Vironius beim Eintritt äußerst respektvoll.
Während Polynios ihn massiert und salbt, erzählt er merkwürdige Dinge von einem alten Kräuterweib, das vor kurzem in seiner Hütte verbrannt sei. Antrusta heiße sie und soll die Schwester der in Rom wohl bekannten Locusta sein. Alle Arten von Kräutern, Salben und Mixturen, aber auch Gifte jeglicher Provenienz habe man bei ihr bekommen. Ihr Tod müsse für viele eine Erleichterung bedeutet haben, könne sie doch jetzt ihre Auftraggeber nicht mehr preisgeben. Man munkelt, dass ihr letzter Besucher ein langer hagerer Mann in schwarzem Mantel gewesen sei.
Längst ist Valerius auf diesen geheimnisvollen Unbekannten aufmerksam geworden, der überall dort auftaucht, wo sich in dieser Stadt ein Unheil ereignet. Er wird ihn finden ...
Auf dem Weg zum Prätorium kommt der Tribun an einem Anschlag vorbei, vor dem mehrere junge Männer stehen:
An alle jungen Männer, auch Freigelassene!
Für den Aufbau einer neuen Vigiltruppe, die neben der
Brandbekämpfung auch polizeiliche Aufgaben übernehmen soll,
werden junge Männer bis 25 gesucht.
Auch Freigelassene können sich melden, müssen aber das
Zeugnis der Manumissio vorlegen! Die Ausrüstung wird vom
Magistrat gestellt. Die Ausbildung erfolgt durch waffenkundige
Veteranen. Per diem wird ein Frühstück und eine warme Mahlzeit
gewährt.
Bewerber mögen sich auf der Prätur bei Viridorix melden.
Pridie Non. Iun. /
Viridorix, Kanzleibeamter
»Für ein Frühstück und eine warme Mahlzeit pro Tag werde ich gewiss nicht den Büttel des Magistrats spielen«, meint einer der jungen Burschen und blickt Beifall heischend um sich. Valerius hört amüsiert zu.
»So schlecht ist das nicht«, meint ein Rothaariger mit tausend Sommersprossen im Gesicht, »immerhin besser, als ständig herumzulungernund auf die
Weitere Kostenlose Bücher