Ahoi, liebes Hausgespenst!
„Alle mal herhören!“ Sie klatschte in die Hände und wartete, bis alle verstummten. „Oberhalb der Ruine gibt es noch einen sehr interessanten Aussichtspunkt. Allerdings ist der Aufstieg ein wenig beschwerlich. Wer nicht sehr gut zu Fuß ist oder nicht das geeignete Schuhwerk hat, sollte darauf verzichten. Wer traut sich’s zu?“
Monika, ihre Freunde und die meisten jüngeren Passagiere hoben die Hände.
„Also her zu mir!“ sagte Uschi. „Die anderen Herrschaften möchte ich bitten, hinunter zu den Geschenkartikel-Läden zu steigen und sich dort einmal umzusehen. Wir treffen uns in...“ sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr, „... in einer knappen Stunde, also Punkt elf Uhr, bei den Taxis.“ Sie sprang von der Brüstung und führte ihre jetzt um mehr als die Hälfte zusammengeschmolzene Gruppe den Berg hinauf.
Zuerst ging es noch über eine Art Straße dahin, die aber bald in etwas Ähnliches wie einen Ziegenpfad überging, den sie nur noch im Gänsemarsch hintereinander hinaufklettern konnten. Als sie aber ihr Ziel erreichten, einen halbzerfallenen Turm, waren sich alle einig, daß sich die Kraxelei gelohnt hatte. Der Blick über die fruchtbare Ebene und die bunten, aus der Weite gesehen sehr malerischen Häuschen von Cap Haitien war wundervoll. Man konnte weit bis auf das Meer hinaus schauen.
Uschi erklärte, daß von der Spitze des Turms aus Sklaven Tag und Nacht Wache gehalten hätten, um den Plantagenbesitzern zu melden, wenn eines der ersehnten Schiffe aus dem Mutterland in Sicht kam.
Der Abstieg war fast noch anstrengender. Ingrid verlor das Gleichgewicht und rutschte mehrere Meter auf dem Po den Berg hinunter. Obwohl ihr Höschen dabei noch mehr in Mitleidenschaft gezogen wurde als ihr weißer Faltenrock, sah auch der anschließend alles andere als blütenweiß aus.
„Mach dir nichts draus“, tröstete Monika sie, „auf dem Schiff gibt’s eine Wäscherei.“
„Dafür habe ich kein Geld!“
Monika unterdrückte die Bemerkung, daß Ingrid ihr Geld in der Wäscherei sicher nützlicher anlegen konnte als beim Glücksspiel. Statt dessen sagte sie: „Dann waschen wir ihn eben selber.“
Aber Ingrid war die gute Laune vergangen; sie liebte es nun mal, fein angezogen zu sein, und war von ihrer Mutter dazu erzogen worden, sich immer sauber zu halten.
Die anderen nahmen die Anstrengung als sportliches Vergnügen. Aber als sie bei den Geschenkständen ankamen, waren sie alle zerzaust und verschwitzt.
Dort standen eine Menge Buden oder auch nur Gestelle, an denen die Andenken aufgehängt waren, nebeneinander. Aber überall wurden dieselben Dinge angeboten: schauerliche Masken aus Holz, Totempfähle, geflochtene Körbe und Hüte. „Das ist doch alles nur pseudo“, sagte Ingrid verächtlich. „Versteh ich nicht“, gab Monika zu.
„Nur nachgeahmt, meint sie!“ dolmetschte Brian.
„Genau. Soll afrikanische Kunst sein und ist es nicht!“ behauptete Ingrid. „Nicht einmal Kunsthandwerk!“
„Ich verstehe nichts davon“, sagte Monika ehrlich, „nur eines weiß ich: in unser Haus am Seerosenteich paßt nichts davon.“
„Wollen wir was trinken?“ fragte Norbert, denn er hatte eine Art Gartenwirtschaft entdeckt.
„Hier doch nicht!“ erklärte Ingrid. „Siehst du denn nicht, wie schmutzig alles ist?!“
„Wißt ihr, wonach ich mich sehne?“ rief Monika. „Nach unserem Swimming-pool!“
„Also nichts wie weg!“ sagte Norbert.
„Wir wollen Uschi melden, daß wir schon losfahren!“ erklärte Monika. „Sucht ihr schon Léon... ich suche Uschi!“
Die Reiseleiterin war damit einverstanden, daß sie zurückfuhren, und wenige Minuten später rumpelten sie auf der gleichen Straße, auf der sie hergekommen waren, wieder dem Meer zu. Sie waren dankbar für den Fahrtwind, der ihre erhitzten Gesichter kühlte. An der Landschaft hatten sie das Interesse verloren und schwatzten munter miteinander, bis Norbert plötzlich rief: „Hier sind wir noch nie gewesen!“
Die beiden Mädchen erklärten unisono, daß das unmöglich wäre und Norbert sich irren müßte.
Aber als der erste Protest sich gelegt hatte, verkündete Brian: „Norbert hat recht! Wir sind auf der falschen Straße.“
Monika schoß der Gedanke durch den Kopf, daß Léon sie entführen wollte. Aber gleichzeitig sagte sie sich, daß das Unsinn war. Weder ihre noch Norberts oder Ingrids Eltern waren reich. Von Brians Vater wußte sie es nicht, konnte es aber nicht annehmen. Wirklich reiche Leute fuhren nicht auf
Weitere Kostenlose Bücher