Ahoi Polaroid
zur Seite blickend. Eingeschüchtert von der Entschlossenheit der Frau schloss er die Tür zum Abteil wieder. Er wandte sich, eine dezente Röte zwischen den Koteletten, an Vinzi und Plotek. Die beiden hatten im Gegensatz zu ihm jede Unaufdringlichkeit vermissen lassen und mit gierigen Blicken noch das letzte bisschen Stoff von der Haut der Blonden gezerrt.
»Tut mir leid, aber offenbar liegt da eine Verwechslung vor. Wie Sie ja selbst gesehen haben. . .«
Und ob sie gesehen haben! Ausreichend lang, um feststellen zu können: Eine Augenweide, diese Frau! Was Plotek,- ähnlich wie den Schaffner, verunsicherte. So viel Schönheit wirkte einschüchternd auf Plotek. In Gegenwart von so viel Anmut und Eleganz kam er sich selbst noch viel kleiner vor, als er war. Klein wie ein Niemand. In Anbetracht dieser Frau wurde der Mann zum Kollateralschaden der Schöpfung. Vinzi war da ganz anders. Vinzi ließ sich von der Frau im Speziellen und von Schönheit im Allgemeinen nicht einschüchtern. Eigentlich von gar nichts. Geld, Reichtum, Intelligenz, Macht, Gewalt - prallte alles an Vinzi ab, als gäbe es das nicht.
»Ja und jetzt?«, fragte Vinzi ärgerlich. Er wirkte dabei, als würde es ihm überhaupt nichts ausmachen, mit der Schönen das Abteil zu teilen. Was aber durch ein energisches Kopfschütteln des Schaffners, der seine Gedanken womöglich erriet, zunichtegemacht wurde. Woraufhin sich Vinzi schon im Rollstuhl sitzend im Flur übernachten sah.
»Kein Problem.« Der Schaffner drückte sich an den beiden vorbei zur Tür des nächsten Abteils. Er überlegte kurz.
Dabei streichelte er zärtlich seine Koteletten, als unterhielte er schon lange ein intimes Verhältnis zu ihnen. Er sagte dann: »Hier, das müsste frei sein.« Woraufhin er die Tür aufschloss. Und tatsächlich. Das Abteil war leer. Der Schaffner strahlte. Als hätte ihn die Blonde zu sich ins Abteil gerufen, um nicht nur dasselbige mit ihm zu teilen, sondern auch noch die Nacht mit ihm zu verbringen. Er klatschte in die Hände. Wie zum Zeichen, dass auch die beiden das große Los gezogen hätten. Quasi mit dem Ohr an der Wand immer hautnah dran an den Sauereien.
»Also, wenn es Ihnen nichts ausmacht und Sie mit diesen beiden reizenden Betten vorliebnehmen wollen, dann ist das jetzt Ihr Abteil.« Das Abteil sah genauso aus wie das nebenan. »Ich kann Ihnen versichern, auch hier werden Sie eine schöne Nacht verbringen und . . .«
»In Ordnung!« Vinzi bremste den Redeschwall des Schaffners, der erneut seine Koteletten liebkoste und sich an den beiden vorbeidrückte. Im Flur blieb er noch einmal stehen. Er beobachtete bedauernd, wie Vinzi mit seinem Rollstuhl vergeblich versuchte, in das Abteil zu fahren.
»Geht’s, oder soll ich . . .«
»Geht!«, herrschte Vinzi ihn an. Was so klang wie: »Finger weg!«
Der Schaffner zuckte zusammen. »Ich wecke Sie dann kurz vor Malmö, wenn es recht ist.« Er machte auf dem Absatz kehrt und ließ ein wenig überzeugendes »Eine schöne Nacht wünsche ich den Herrschaften« zurück.
Es war keine schöne Nacht. Zumindest nicht für Plotek. Zuerst schon. Dann weniger. Nachdem das wenige Gepäck über den Betten auf den Ablagen verstaut war, begaben sich Plotek und Vinzi in die Bar ihres EuroNights EN 210. Dort hatten sich schon allerhand Reisende auf der Suche nach Bettschwere versammelt. Sie standen zusammengepfercht an der Bar und um die Stehtische herum, um in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Alkohol in sich hineinzuschütten. Ab und zu verzogen sie sich heimlich in eine der Toiletten, um hastig der Nikotinsucht Genüge zu tun. Und mit zunehmendem Alkoholpegel kamen sich die Reisenden immer näher. Auf dem Weg zur Bettschwere wurde, quasi als Synergieeffekt, ihre beschwipste Sommergeilheit angestachelt. Mit fortschreitender Zeit war es nicht mehr ausgeschlossen, dass der ein oder andere Fahrgast nicht in der eigenen Kabine aufwachte. Bei dem sportlichen Mann Anfang fünfzig am Stehtisch neben Plotek und Vinzi, der auffällig um eine Frau Anfang vierzig im Businesskostüm und Föhnfrisur buhlte, war es sogar höchstwahrscheinlich. Der braungebrannte Mann mit den nach hinten gegelten, vermutlich gefärbten Haaren, dem Schnauzbart in exakt der gleichen Farbe, vermutlich auch gefärbt, und der leicht getönten Brille kam Plotek von irgendwoher bekannt vor. Er erinnerte an einen in die Jahre gekommenen ehemaligen Fußballprofi. Wie Andi Brehme mit Toupet und Bart. Jetzt legte er seine goldberingte Hand auf die
Weitere Kostenlose Bücher