Ahoi Polaroid
war und wie ein kleines Einmannzelt von ihm abstand. Bedeutet: Morgenlatte! Ob das auch Swantje bewusst war, dachte Plotek, während statt der Morgenlatte sein ohnehin schon kümmerliches Selbstbewusstsein fast gänzlich in sich zusammenfiel. Es sah allerdings so aus, als wäre Swantje das Zelt noch gar nicht aufgefallen. Was tun?, dachte Plotek. Und antwortete sich selbst: Manchmal ist es besser, auf das Augenscheinliche erst gar nicht einzugehen, sondern selbstbewusst darüber hinwegzublicken, zum Beispiel über eine Morgenlatte an einer geöffneten Tür vor einer schönen Frau. Einfach so tun, als ob nichts wäre. Keine Latte, kein Morgen, kein nichts. Und Überraschung: Es funktionierte. Plotek drückte den Rücken durch und präsentierte sich Swantje jetzt aufrecht, nicht underdressed oder wurstgleich, sondern im Zweireiher mit gebügeltem Hemd und Krawatte locker und cool auf einer Stehparty mit einem Glas Sekt in der Hand.
»Ich weiß gar nicht, wie ich es sagen soll. . .« Swantje stammelte herum, wie man bei Stehpartys smalltalkmäßig eben herumstammelt. Sie wusste es dann doch, nämlich: »Haben Sie heute schon Lars gesehen?«
»Lars?« Plotek stand zwar in selbstbewusster Haltung an der Tür, aber dennoch mit beiden Beinen auf dem Schlauch.
»Kuhlbrodt«, sagte Swantje, so wie wenn man »Kriminalpolizei« sagt.
Erstens habe ich heute außer Vinzi noch niemanden gesehen, dachte Plotek. Und zweitens bin ich auch froh darüber. Drittens wäre mir am liebsten, ich würde dich auch nicht mehr sehen, Swantje. Dies war aber kein Spiel mit drei freien Wünschen und einer guten Fee, die sie einem sogleich erfüllt. Es war knallharte Hurtigruten-Realität. In die sich jetzt Vinzi einschaltete.
»Waren Sie schon in seiner Kabine?« Er lag noch immer im Bett, richtete sich aber ein wenig auf.
Swantje druckste herum. So kannten die beiden sie gar nicht. Bisher hatte sie sich immer gewandt, eloquent und selbstsicher gegeben. Nun schrumpfte die selbstgefällige Schönheit zusehends zu einem duckmäuserischen, demütigen Häufchen Frau mit großen Brüsten zusammen. Plotek schien das nicht unrecht zu sein. Jetzt waren sie quasi auf Augenhöhe.
»Na, was ist?«, fragte er. Offenbar hatte er kurzzeitig am Oberwasser geschlürft.
»In seiner Kabine ist er nicht« – kein Häufchen, nur noch Brüste.
»Vielleicht ist er beim Frühstück. . .« Vinzi sagte es, als wäre es das Normalste von der Welt.
»Dort ist er auch nicht« – als wäre das Normalste ein perverser Fetisch.
»Wie, dort ist er auch nicht?«, fragte Plotek, dem sein halbnackter Auftritt doch langsam wieder unangenehm wurde. Der zunehmend desolate Zustand Swantjes schien auf ihn abzufärben.
So etwas gibt es auch oft. Und bei Plotek erst recht. Plotek ist darin ganz groß. Das Minderwertigkeitsgefühl, die Depression des einen springt auf den anderen über. Hört man lange genug einem Stotterer zu, holpern die eigenen Worte ebenfalls. Hustet einer im Raum, ist schon der andere krank.
»Die Kabine ist unbenutzt«, sagte Swantje, so wie wenn man sagt: »Meine Gebärmutter ist unberührt!«
»Wo. . . wo. . . wo ist denn die. . . die. . . die Kabine?«, stotterte Plotek. Er versuchte, sein eingebrochenes Selbstbewusstsein wiederaufzurichten. Was aber misslang. Der gerade Rücken wurde krumm. Die Hand, die pantomimisch ein Cocktailglas umklammerte, sah jetzt irgendwie behindert aus. Debil. Wie die deformierte Kralle eines Greifvogels.
»Hier gleich nebenan.«
Swantje zeigte den Flur entlang, verharrte und fragte: »Was haben Sie da?«
Jetzt zeigte sie auf Ploteks verkrampfte Hand. Die imaginäre Stehparty war dahin. Der Zweireiher samt weißem Hemd und Krawatte fiel von ihm ab. Er stand wieder halbnackt mit löchrigem Unterhemd und ausgebeulter Unterhose vor Swantje. Der das nun auch aufzufallen schien. Noch ehe sie entrüstet die Hand vor den Mund halten konnte, sagte Vinzi aus dem Hintergrund: »Warten Sie, wir kommen!«
Woraufhin Plotek intuitiv die Tür zuschlug. Ob Vinzi eine neue Chance witterte oder seine Hilfsbereitschaft ohne jegliche Hintergedanken auskam, war unklar. Plotek war auf jeden Fall erleichtert, endlich aus der Schusslinie zu sein.
Zwei Türen weiter befand sich tatsächlich die Kabine von Lars Kuhlbrodt. Zumindest behauptete Swantje, dass es seine wäre. Oder gewesen wäre. Denn die Kabine war ebenso wie die von Ralf Augustin nicht nur leer, sondern komplett unberührt. Das Bett war unangetastet. Auch sonst deutete nichts
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