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Ahoi Polaroid

Ahoi Polaroid

Titel: Ahoi Polaroid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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vor sich hin tauten. Es fühlte sich nass an, auch kalt, aber nicht sonderlich beunruhigend. Auf keinen Fall rechtfertigte es den Affentanz, den manch einer der anderen aufführte.
    Es blitzte wieder. Donnerte. Dann fing es plötzlich wolkenbruchartig an zu regnen. Die Passagiere schienen der Meinung zu sein, dass das unbedingt zur Taufe gehörte. Authentizität, Wahrhaftigkeit, Echtheit und alles. Als sich dann aber selbst der Meeresgott Hals über Kopf davonmachte, war klar, dass das beim besten Willen nichts mit einer Inszenierung zu tun haben konnte. Das war echt, real und im ganz authentischen, naturgewaltigen Sinne einfach nur nass. Verdammt nass sogar. Die Passagiere verdrückten sich so schnell sie konnten in die Innenräume des Schiffes. Die Neptun-Taufe kam zu einem abrupten Ende. Weshalb nur ungefähr die Hälfte der Schiffspassagiere getauft wurden. Später würde man dann achselzuckend von »höherer Gewalt« sprechen.
    Plotek spürte noch immer das Eis unterm Hemd. Vinzi auch. Blöder Brauch, dachten beide. In Babettes Cafe zog Plotek sein Hemd aus der Hose und schüttelte sich kurz. Damit sich die vermaledeiten Würfel endlich davonmachen konnten. Taten sie auch. Sie kullerten unter dem Hemd hervor, schlitterten über den Boden und lösten sich in irgendeiner Ecke des Cafes schließlich langsam auf. Mit den Eiswürfeln kam aber noch etwas anderes zum Vorschein. Das sich ganz und gar nicht auflöste. Obgleich es auch kurz über den Boden schlitterte. Besser: rollte. Und kaum einen Meter von Plotek entfernt neben einem der Korbsessel liegen blieb.
    »Was ist das denn?«, fragte der blasse Schriftsteller und wurde gleich darauf noch blasser. Fast durchsichtig. Was wird das schon sein, dachte Plotek. Dann sah er genauer zu der Stelle, auf die der Schriftsteller mit seiner blassen Hand zeigte. Und während Hubertus C. Bruchmeier, der ebenfalls in unmittelbarer Nähe stand, plötzlich schreiend, als verlöre er augenblicklich den Verstand, davonlief, erkannten auch Plotek und Vinzi, was da lag. »Scheiße!«, sagte Vinzi.
    Es war natürlich keine Scheiße, sondern ein Auge. Plotek und Vinzi war klar, wessen Auge das war: Es war eines von Steffen Sailer. Die blauen Augen von Augustin und die braunen von Kuhlbrodt sahen eindeutig anders aus. Das hier war ein Auge mit einer grauen Pupille, das alle Herumstehenden vorwurfsvoll anzustarren schien. Vinzi überfiel eine ganz scheußliche Ahnung. Er bäumte sich in seinem Rollstuhl auf und riss sein weißes Hemd aus der Hose. Er schüttelte sich ebenfalls, so dass auch ihm die Eiswürfel herausrutschten. Vinzi drehte sich im Rollstuhl um und sah, wie sie auf dem warmen Sitz begannen, vor sich hinzuschmelzen. Nur eines schmolz nicht. Das andere Auge von Sailer.
    Jetzt sagte Plotek: »Scheiße!« Der bleiche Schriftsteller sah aus, als wollte er sich am liebsten auflösen und verschwinden. Plotek und Vinzi hingegen schalteten fast schon routiniert auf Analyse um.
    »Neptun!«, sagte Vinzi, und Plotek fügte »Ja« hinzu. Sie sahen sich um. »Ist verschwunden«, kam es unisono aus den beiden Mündern.
    »Was hat das zu bedeuten?« Der Schriftsteller fragte es zögerlich, so wie man fragt: »Ist die Leiche tot?«
    »Nichts.« Beide versuchten, den Schriftsteller mit einem Lächeln zu beruhigen.
    »Hier will uns jemand einen Schrecken einjagen!« Vinzi lachte nun. Es klang gekünstelt.
    Plotek lachte ebenfalls. Auch nicht besser.
    Der blasse Schriftsteller lachte nicht. Und verschwand nun wirklich, vermutlich in seine Kabine.
    Der Regenschauer hielt an, bis die MS Finnmarken Tromsø erreicht hatte. Dann kam wieder die Sonne heraus. Langsam, in homöopathischen Dosen, als wäre es die meteorologische Einladung zum vierstündigen Landgang. Die die meisten Passagiere, nach fünf Tagen an Bord dem Schiffskoller wohl schon ziemlich nahe, dankend annahmen. Plotek und Vinzi nicht. Keine Spur von Schiffskoller. Eher Augenkoller. Polaroidkoller. Leichenkoller. Mit dem Leben an Bord hatten sie sich ganz gut arrangiert. Auch unter Zuhilfenahme von bewusstseinserweiternden Drogen. Plotek hatte sich sogar mittlerweile an das gelegentliche flaue Gefühl im Magen gewöhnt. Übergeben musste er sich schon lange nicht mehr. Wären da nicht die extrahierten Augäpfel gewesen, hätte es sogar eine äußerst erholsame Schiffsreise werden können. Auch ohne Landgang.
    Sie hatten also keine Lust, an Land zu gehen. Das Schiff zu verlassen. Sie hatten auch keine Lust, vier Stunden lang in der

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