Ahoi Polaroid
Der junge Mann stand immer wieder tumb im Weg herum, so dass er beinahe von einem der Gabelstapler überfahren worden wäre. Was Plotek und Vinzi ein kurzes Lächeln bescherte. Ansonsten fand ihr Schauen und Rauchen in grimmigem Schweigen statt. Wobei sich nach und nach Müdigkeit oder so etwas wie Gelassenheit breitmachte, was sicher auch auf die relaxierende, sedierende und antiemetische Wirkung der Droge zurückzuführen war. Soll heißen: Das Zentralnervensystem lag ihnen ergeben zu Füßen. Bis Vinzi irgendwann dann doch noch »Hmm« machte. Als wäre er beim Denken über beide Beinstummel gestolpert und an ein Hindernis gestoßen.
»Was?« Plotek reagierte verzögert. Auch ein wenig schläfrig, THC sei Dank.
Und tatsächlich: Vinzi stieß an eine Barriere, die er mit seinen Gedanken zu überwinden versuchte. Was auch gelang. »Das sind mehrere«, sagte er, »mehrere Täter!«
Plotek schien nicht so überzeugt - also packte Vinzi seine Trümpfe aus. »Einer allein schafft das logistisch gar nicht.« Während die Finger aus seiner Faust schnalzten, zählte er die Beweise auf: »Die Kameras in den Kabinen, die Entsorgung der Leichen, die Entsorgung des Gepäcks. Das Tilgen aus den Passagierlisten. Die ganze Inszenierung.«
Es klang einleuchtend. Auch für Plotek. Trotz des Afghanen. Oder gerade deswegen? Egal, es klang tatsächlich einleuchtend.
»Dahinter steckt ein ganzes Team«, sagte Vinzi, und Plotek fügte hinzu: »Ein verdammt gutes sogar.« Die beiden konnten ihre Hochachtung nicht verbergen, während Vinzi wieder an der Tüte zog und mit dem Entweichen des Rauches sagte: »Eines, das höchstwahrscheinlich auch einen Vertreter in der Hurtigruten-Crew hat.«
»Wegen der Passagierlisten«, sagte Plotek, mehr Feststellung als Frage. »Und Neptun!«
Vinzi nickte. »Und wegen der Kameras. Die installiert man nicht so einfach als Außenstehender.«
Er zog erneut und hustete anschließend wieder. »Das ist von langer Hand und minutiös geplant.«
»Und verdammt effektiv.« Plotek ließ seiner Bewunderung freien Lauf, griff nach dem Joint und paffte wieder Augenschwaden.
Sie sahen zur Laderampe hinunter, wo der Schriftsteller gerade mit einem Hafenarbeiter in einen Disput verstrickt war.
»Dabei geht es nicht nur um Morde«, sagte Vinzi. »Dabei geht es um Bestrafung.«
Der Hafenarbeiter sah ärgerlich aus. Der Schriftsteller hilflos.
»Die Strafe steht im Vordergrund. Der Tod ist nur die zwangsläufige Folge.«
Der Hafenarbeiter fuchtelte jetzt in der Luft herum. Er gestikulierte, als würden Worte alleine nichts mehr bezwecken. Der Schriftsteller zuckte immer wieder mit den Schultern und wich ängstlich zurück.
»Du meinst, wenn man einem die Augen herausschneidet, den Schwanz kupiert, am Körper mit dem Messer herumschnippelt und einen Nagel in die Brust rammt, stirbt das Opfer nun einmal.« Die Worte Ploteks verließen mit einem Schwall Rauch seinen Mund. Diesmal formierten sich keine Augen.
»Genau, das ist die Folge der Strafe«, sagte Vinzi. »Um das Opfer zu töten, gibt es einfachere Methoden.« Beide dachten nach. Während der Hafenarbeiter immer lauter schrie und den Schriftsteller mit der flachen Hand vor die Brust stieß.
»Erschießen.«
»Erstechen.«
»Erschlagen.«
»Erwürgen.« Das klang jetzt wie ein wenig heiteres Mordarten-Raten.
»Und dann über die Reling schmeißen.« Vinzi sah wieder nach unten.
»Oder auch ohne Erschießen und Erwürgen über die Reling schmeißen.« Plotek sah auch nach unten.
»Müsste auch reichen.«
»Bestimmt.«
Der blasse Schriftsteller entfernte sich jetzt von der Laderampe des Schiffes, und zwar so schnell, dass man auch von Flucht sprechen konnte. Der Hafenarbeiter folgte ihm. Ähnlich schnell, so dass der Begriff Verfolgung nahelag. Durchaus komisch. Dennoch konnten Plotek und Vinzi nicht lachen. Womöglich lag es an den Sirenen, den Martinshörnern, die jetzt aus der Ferne an ihr Ohr drangen und ihre Aufmerksamkeit beanspruchten. Dann sahen sie auch die Blaulichter. Am Ufer der Festlandseite der Stadt, genau gegenüber dem Anlegeplatz des Hurtigruten-Schiffs, hielten drei Polizeiautos an. Dazu ein Krankenwagen. Ein weiteres, ein schwarzes Fahrzeug mit Blaulicht, kam hinzu. Menschen stiegen aus und gingen hastig zum Ufer hinunter.
»Was ist denn da los?« Um Genaues zu erkennen, waren die beiden zu weit weg.
Bloß gut, dass seit einigen Minuten eine alte Frau nicht weit von den beiden entfernt ebenfalls an der Reling stand. Gut, weil
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