Ahoi Polaroid
Gesicht.
»Ich habe einen Eintrag gefunden, in dem spekuliert wird, Bruchmeier hätte erst kürzlich seine Altershomosexualität entdeckt. Obgleich er anscheinend, je älter er wurde, mit immer jüngeren Schauspielerinnen ins Bett stieg. Im Austausch für eine Julia, ein Gretchen oder eine Luise natürlich.«
Auch nichts Neues. Plotek winkte diese Info in Gedanken durch. Theater eben!
»War’s das?«
»Das war’s!«
»Hmm. Viele Informationen, verdammt viele. Aber schlussendlich keine Lösung.«
»Stimmt!«
»Lass uns nachsehen«, schlug Plotek vor. »Vielleicht finden wir Sailer irgendwo auf dem Schiff.«
»Das bezweifle ich«, sagte Vinzi. »Nach allem, was bisher passiert ist. Ich wette, dass er nicht mal mehr auf der Passagierliste auftaucht.«
Sie verließen die Kabine.
»Ach so, ich weiß jetzt, wofür das C in Bruchmeiers Namen steht«, sagte Vinzi.
»Und?«
»Clearasil!«
»Nein!«
»Doch. Hubertus Clearasil Bruchmeier.« »Das ist doch kein Name.«
»Nee, ein Mittel gegen Pickel!«
Beide lachten.
10
Obgleich der Himmel voller schwarzer Wolken hing, regnete es kaum noch. Auf Deck 7 wehte ein frischer Wind. Das Schiff hatte vom Hafen von Finnsnes abgelegt und war auf der Fahrt nach Tromsø. Die Passagiere standen etwas fröstelnd um den Außenpool des Badedecks herum, in Badelatschen und Windjacken. Sie lachten und schrien, als wären sie vier, fünf Jahre alt und auf einem geilen Kindergeburtstag, ohne Erziehungsberechtigte. Soll heißen: Die verspätete Neptun-Taufe war in vollem Gange. Nur Steffen Sailer fehlte. Er war, wie Plotek und Vinzi vermutet hatten, tatsächlich ebenfalls von der Passagierliste verschwunden.
Der Meeresgott Neptun wirkte gar nicht so gewaltig, wie es sich mancher Passagier vorgestellt hatte. Eher im Gegenteil. Neptun war zierlich. Allerdings mit einer übergroßen Maske und einer Goldkrone auf dem Kopf, die seine Proportionen zu sprengen schienen. Und mit einem bademantelähnlichen grünen Umhang, der von einer schweren Kordel zusammengehalten wurde. Alles ein paar Nummern zu groß. Das war kein Gott, das war ein Göttchen. Ein Wasserpfützen-Göttchen. Stand da breitbeinig in übergroßen gelben Gummistiefeln wie ein bunter Minielefant in der Porzellanabteilung vom Kaufhof. Und doch wirkte sein Äußeres etwas einschüchternd. Vor allem die Maske vor dem Gesicht des Neptun-Laiendarstellers sah furchteinflößend aus. Die buschigen weißen Augenbrauen, der buschige weiße Bart und die riesige Knollennase erinnerten ein wenig an den Weihnachtsmann. Der Dreizack an etwas Pastorales. Die strohigen langen Haare bis zum Hintern an Rapunzel. Neptun sagte nichts, er gab nur undefinierbare Grunzlaute von sich. Was gar nicht niedlich klang.
Schon wieder ein Ritual, dachte Plotek, und wirkte ähnlich grimmig. Er fror, seine Haare waren feucht, und er hatte Kopfschmerzen, die beim Anblick des Meeresgottes zuzunehmen schienen. Obgleich der doch »ganz lieb« wäre, wie Herlinde Vogler-Huth behauptete. »Eine Seele von einem Gott!« Deshalb habe er ja auch eine gute Gabe mitgebracht. »Eine Handvoll Eis«, sagte Herlinde. Sie lachte und zeigte auf eine Truhe, die neben dem Meeresgott stand.
Ein Steward assistierte dem Meeresgott, indem er den Passagieren, die wie Schlachtvieh in einer Reihe hintereinanderstanden, die Hemdkragen weitete. Damit der liebe Neptun eine Handvoll Eiswürfel aus seiner Truhe in ihre Nacken versenken konnte. Ein weiterer Steward hielt ein Tablett mit gefüllten Aquavitgläsern und reichte den Getauften zur Belohnung ein Gläschen. Ein dritter händigte schließlich zum Beweis der erfolgreichen Polartaufe eine Urkunde aus. Unterschrieben vom Meeresgott höchstpersönlich. Das sollte alles selbstverständlich möglichst witzig sein. Viele lachten auch tatsächlich. Vor allem, wenn den anderen die kalten Eiswürfel unters Hemd flutschten. Fast alle fotografierten. Ruedi Eschenbach filmte wieder. Der blasse Schriftsteller machte sich Notizen. Plotek verzog missmutig das Gesicht und wäre längst schon auf und davon gewesen. Ohne Taufe. Ohne Aquavit und Urkunde. Hätte sich nicht Herlinde Vogler-Huth an seinem Arm untergehakt und ihn dicht an sich gezogen. Ähnliches widerfuhr Vinzi. Ihn hatte Swantje am Schlafittchen. Geduldig saß er in seinem Rollstuhl neben ihr in der Reihe und harrte auf das Unvermeidliche. Für Swantje hätte er sich auch an der Schlachtbank für Hornochsen angestellt und sich gleich noch selbst gerichtet. Den Kopf schien er
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