Ahoi Polaroid
hatten, schien er erleichtert und lächelte sogar. Danach schrieb er alles in ein Blöckchen, als wollte er seinen Roman um die eigene Taufe herum konzentrisch aufbauen.
Es blitzte erneut inmitten der schwarzen Wolken, die jetzt über dem Schiff hingen wie himmlische Begleitboote. Und der Donner folgte wenige Sekunden später. Jetzt blickte auch der Steward mit den Urkunden nach oben und schrie seinen Kollegen etwas auf Norwegisch zu. Neptun schien unbeeindruckt. Er versenkte die Eiswürfel nicht nur in den Hemden der Täuflinge, als wären es Golfbälle und er Tiger Woods, sondern fertigte die Passagiere immer mechanischer und gleichgültiger ab. Effektivitätsmaximierung im Zeitalter der Industrialisierung.
Der nächste Blitz. Als hätte der Gott des Himmels etwas gegen den des Meeres - sozusagen noch eine alte Rechnung offen. Die Passagiere schien das aufziehende Gewitter kaum zu beeindrucken. Von der Taufe schien eine derartige Magie auszugehen, dass die wenigsten sich mit albernen Blitzen und drohendem Donnern aufhielten. Vielleicht dachten sie auch daran, dass das Gewitter zur Zeremonie dazugehörte. Göttlicher Beistand quasi.
Swantje Schmitz war an der Reihe. Nachdem die Eiswürfel unter ihrer Bluse verschwunden waren, verzog sich ihr Gesicht, als hätte sie die Würfel verschluckt. Sie quiekte, quietschte und kreischte. Was auch bei ihr an ein Tier erinnerte. Hamster, Ferkel. Sie zerrte aber nicht erst vorsichtig am Blusensaum, um die Würfel loszuwerden, sondern riss sich gleich die ganze Bluse vom Leib. Folge: Swantje Schmitz stand im BH auf Deck 7, Neptun erstarrte, und von oben blitzte und donnerte es. Auf dem Boden hüpften die Eiswürfel vor Freude wie kleine Springteufel. Der durchsichtige Büstenhalter versetzte Vinzi zuerst in Aufregung, dann in Trance. Dagegen hatte ihr Bikini wie eine Burka ausgesehen. Er starrte auf die weiß schimmernden Brüste, die großen trollennasigen Warzen, und merkte dabei gar nicht, dass er selbst jetzt dran war. Neptun griff in die Truhe, dann an Vinzis Kragen und versenkte eine Handvoll Eiswürfel in seinem Hemd. Die ließen ihn aber völlig kalt. Dafür glühte sein Kopf. Die Augäpfel schienen ihm gleich aus den Höhlen zu springen, um sich an Swantjes Brustwarzen heranzuschmeißen. Um dann für immer und ewig mit ihnen zu verschmelzen. Was Plotek, hinter Herlinde postiert, zu denken gab. Swantje schien ihre Bluse erst gar nicht mehr anziehen zu wollen. Sie kippte den Aquavit die Kehle hinunter und freute sich über die Urkunde wie über eine Brustvergrößerung.
»Ich bin dran! Ich bin dran!«, schrie Herlinde Vogler-Huth. Was völlig absurd klang, weil ohnehin alle sehen konnten, dass sie die Nächste in der Reihe war.
»Ah, ich bin so aufgeregt«, sagte sie und: »Ich bin so furchtsam!« Bei dem Getue hätte auch niemand etwas anderes vermutet. Neptun blieb umso cooler. Als Herlinde sich derartig verkrampfte, dass es unmöglich schien, die Eiswürfel im Kragen zu applizieren, versenkte er sie kurzerhand im Dekollete der Bluse. Und was das verursachte, war nicht mehr nur mit »aufgeregt« zu beschreiben. Es erinnerte an eine Art Indianershow mit starken Bauchtanzanleihen, wie Herlinde auf den Holzplanken des Decks herumwackelte und -zuckte. Plotek wurde plötzlich klar, dass die Alte definitiv nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte. Ihre Tochter Paula kam zu einem ähnlichen Resultat. Ihr schien der Tanz der Mutter in erster Linie peinlich zu sein. Paula drehte ihr den Rücken zu und verschwand kopfschüttelnd im Innern der MS Finnmarken. Nur Ruedi Eschenbach war begeistert. Er legte sich als Kameramann mächtig ins Zeug. Er gab alles. Der Übergang vom Dokumentierenden zum Agierenden verschwamm, denn um alles ganz authentisch festzuhalten, nahm er ähnliche Körperhaltungen wie Herlinde ein. Es sah aus, als tanzten sie beide. Nicht um das goldene Kalb oder den taufenden Neptun, sondern um sich selbst herum. Was bei den Zuschauern die Aufmerksamkeit für die Taufzeremonie kurzzeitig reduzierte. Nur nicht bei Plotek. Denn jetzt war er dran. Widerwillig stellte er sich vor dem Meeresgott auf. Und Überraschung: Neptun roch! Aber nicht nach Algen, Meer, Salz oder Fisch. Auch nicht nach Gott - wenn man denn wüsste, wie der riecht. Dieser Neptun roch jedenfalls würzig frisch, wie dieses Männerparfüm, das Agnes immer benutzte. Plotek war irritiert. Neptun nicht. Er griff in die Eistruhe und steckte die Eiswürfel unter Ploteks Hemd. Wo sie am Rücken langsam
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