Aina - Herzorgasmus
einer Mörderin werden können? Sie versuchte sich damit zu beruhigen, dass er ja kurz nach ihrer Attacke wieder aufgestanden war. War sie also doch keine Mörderin? Plötzlich sickerten ihr die Worte der Frau wieder ins Bewusstsein. Er kann nicht sterben. »Wie bitte?«, fragte sie und kniff die Augenbrauen zusammen, als könne sie damit ihr Gedankenchaos ordnen.
Die Frau blickte eine Weile stumm auf die Straße und presste ihre Hand auf ihr verletztes Bein. Dann drehte sie langsam den Kopf zu Aina um und sagte: »Es tut mir leid, dass du da mit hineingezogen wurdest.«
Aina hielt an einer Ampel und sah die Frau an, die zitternd neben ihr saß. Ihr dunkles Haar lag in nassen Strähnen auf ihren Schultern und ihr Augen-Make-Up war unter ihren Tränen verlaufen. Sie konnte sich kaum vorstellen, wie sie sich fühlen musste. Sie war gerade fast von einem Verrückten ermordet worden. Oder vergewaltigt. Was noch viel schlimmer gewesen wäre. »Ist schon okay«, sagte Aina sanft und wollte gerade ihre Hände berühren, um sie ein wenig zu beruhigen, doch sie zuckte dabei so sehr zusammen, dass Aina sofort wieder zurückwich.
»Nein, ist es nicht«, flüsterte sie. Wieder liefen ihr Tränen über das Gesicht, während sie Aina ansah. In ihrem Blick lagen tiefe Schuldgefühle. »Du hättest das nicht tun dürfen.«
Aina bemerkte nicht, dass die Ampel bereits grün war. Sie blickte die Frau fassungslos an.
»Du«, hauchte die Frau, senkte ihren Kopf und schluckte, »hast dich in Gefahr gebracht.«
»Es ist mir doch nichts passiert«, versicherte Aina und tastete demonstrativ ihren Körper ab, um die Frau davon zu überzeugen, dass sie unverletzt war.
Die Frau hob wieder den Kopf und sah Aina sehr skeptisch an. »Ich weiß nicht, wie du es geschafft hast, ihn zu verletzen«, flüsterte sie und machte dann eine lange Pause, in der sie Aina von oben bis unten musterte.
Nun gut, Aina war nicht gerade die kräftigste Frau der Welt. Sicher konnte sich niemand vorstellen, dass sie einen riesigen Kerl mit ihren dünnen Armen und ihren schlanken Fingern umhauen, beziehungsweise abstechen konnte. Aber ganz so absurd war diese Vorstellung nun auch wieder nicht. Ihr Vorteil war ihr harmloses, zerbrechliches Erscheinungsbild, hinter dem niemand so etwas wie Stärke vermutete. Der Kerl hatte sie einfach unterschätzt und war nicht auf ihre Attacke vorbereitet gewesen. Stattdessen hatte er sie ausgelacht, als sie aus dem Auto gestiegen war und hatte deshalb auch nicht bemerkt, wie sie sich ihre Schlüssel zwischen die Finger geschoben hatte, um sie ihm kurz darauf in den Hals zu rammen. Plötzlich wurde Aina übel.
»Das ist nicht möglich«, fuhr die Frau fort. »Die sind«, sie holte tief Luft, »… zu… stark.«
Aina runzelte die Stirn. »Wen meinst du mit die?« Gab es mehrere von diesen Verbrechern? Handelte es sich hier um einen Verbrecherring? War sie womöglich in ein Netz des organisierten Verbrechens getappt? Ihr gingen unzählige Gedanken durch den Kopf. Geschichten, die sie schon in Filmen gesehen und in Büchern gelesen hatte und auch jene, die ihr Andi von seiner Arbeit erzählt hatte, erschienen plötzlich erschreckend lebendig und real.
»Vielleicht hat er deswegen gezögert und einfach nur dagestanden, anstatt dich sofort zu töten. Er war überrascht gewesen«, fuhr sie einfach fort, ohne auf Ainas Frage einzugehen. In ihrem Blick leuchtete fast so etwas wie Bewunderung auf.
Als jemand hinter Aina hupte, schreckte sie zusammen und fuhr schnell wieder los. »Wen meinst du mit die?«, fragte sie noch einmal.
Aber sie antwortete ihr nicht. Stattdessen wandte sie sich von ihr ab und sah aus dem Fenster. Aina zitterte immer noch am ganzen Körper. Sie hatte das Gefühl zu erfrieren und langsam begann auch ihre Hand zu schmerzen, mit der sie auf den Mann eingestochen hatte. Sie sah auf ihre Knöchel, die blutverschmiert waren und erinnerte sich sofort an das Gefühl, wie sich ihre Schlüssel in seinen Hals gebohrt hatten. Ihr wurde immer übler. Das Wasser sammelte sich in ihrem Mund und sie schaffte es gerade noch den Wagen vor ihrem Wohnhaus zu parken, nach oben zu laufen, ihre Wohnungstür aufzuschließen und ins Badezimmer zu rennen, um sich dort mehrmals zu übergeben. Die Toilettenbrille fühlte sich eiskalt an. Fast noch kälter, als ihre Finger. Sie lehnte ihre heiße Stirn dagegen und starrte den schwankenden Fußboden an. Die Fliesen tanzten hin und her, als wollten sie dem Rhythmus ihres rasenden
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