Aina - Herzorgasmus
Die Luft atmen, ihr Händchen fühlen und ihr fröhliches Quieken hören. Als sie einen Blick über ihre Schulter auf die Wiese warf, sah sie, dass noch ein wenig Morgennebel auf der Wiese lag. Plötzlich spürte sie den Drang ihn zu fühlen. Durch diesen Nebel hindurch zu laufen und ihn einfach wahrzunehmen. Sie zog Mia schnell die Schühchen aus, streifte auch ihre eigenen Schuhe ab, nahm sie an die Hand und lief mit ihr über die feuchte Wiese. Es fühlte sich unglaublich an! Die Grashalme, die ihre Haut berührten, waren kühl und hinterließen eine angenehme Feuchtigkeit an ihren Füßen. Sie streiften ihre Knöchel, ihre Zehen, ihre Fußsohlen und erfüllten sie mit einem solchen Glücksgefühl, dass sie glücklich auflachte. Ebenso, wie ihre Tochter, die voller Fröhlichkeit ihre kleinen Füße voreinander setzte und gluckste vor Glück. Als der Nebel dann kühl ihre Beine umgab, blieb sie stehen und kniete sich hin. Sie berührte mit ihrer Hand die feinen Wasserpartikel in der Luft und war erfüllt von Faszination. Was für ein unbeschreibliches Glück es war, fühlen zu können, dachte sie und blickte ihre Tochter an, die es ihr nachmachte und mit ihrer kleinen Hand durch den Nebel ging.
Plötzlich sah Aina aus dem Augenwinkel, wie sich ihr jemand näherte. Sie stand auf, wandte sich um und erstarrte augenblicklich. Ein Schrecken zog ihr sofort durch den ganzen Körper. Heiß und eiskalt zugleich. Er kam durch den Nebel auf sie zu, als würde er auf Wolken zu ihr schreiten. Die Zeit kam zum Stillstand und die Welt um sie herum verschwand. Sein Gesicht war hell und makellos wie Porzellan und seine Augen stachen daraus hervor, wie pechschwarze Edelsteine. Ihr Herz bebte. Und ihr Körper zitterte vor Aufregung. Sein Gesicht sahanders aus, doch er sah ihm ähnlich. Unheimlich ähnlich. Sie spürte, obwohl ihr Verstand ihr einredete, dass dies unmöglich sein konnte, dass er es war. Er. Er.
Als er aber ein leichtes Kopfschütteln andeutete, schickte sie ihre Gedanken fort. Sie durfte nicht an ihn denken. Nie wieder. Es hatte ihn nie gegeben. Ihre Vergangenheit hatte nie stattgefunden. Sie war ein neuer Mensch in einem neuen Leben. Ihr altes Ich existierte nicht mehr. Doch etwas Altbekanntes in ihr bebte, als er näher kam. Es erschütterte ihr ganzes Sein und brach in ihr aus, wie ein Vulkan. Schon wieder. Langsam und vorsichtig reichte er ihr die Hand und lächelte dabei ein verkniffenes, teuflisches Lächeln, das vor Glück überkochte. Und als sie sich berührten, durchzog sie erneut ein Gefühl von Einheit. Ihr Herz wurde ganz und schüttelte seine Wunden ab. Ihr liefen Tränen über das glückliche Gesicht.
»Ich bin René«, sagte er und stellte sich damit als jemand vor, den sie nicht kannte.
»Anna«, entgegnete sie. Auch sie war neu für ihn. Fremd.
Es war ein ganz normaler Moment, in einem ganz normalen Leben, in dem sich zwei ganz normale Menschen trafen. So und nicht anders würden sie es immer aussehen lassen. Und fühlen. Niemals würde sie an etwas Anderes denken. Und das musste sie auch nicht. Ihr Leben begann von Neuem. In diesem Moment.
Sie sahen sich lange an. Sie wusste nicht, was in seinem Kopf vorging. Ob er an die Vergangenheit dachte. An die Zeit, die sie zusammen verbracht hatten. Die Nächte, die Kämpfe, die Flucht… Vielleicht dachte er auch an gar nichts. So, wie sie. Vielleicht fühlte er nur. Die Verbindung, die nie abgerissen war. Die Einheit, die ihre Seelen miteinander verschmolz. Nach einer Weile riss sie sich von seinen durchdringenden Augen los und deutete mit einem Nicken auf ihr Kind. »Das«, hauchte sie stolz, »ist Emilia. Mia.«
Sie stand neben ihr. So klein und doch schon so groß. Ihr pechschwarzes, seidiges Haar wehte in dem lauen Windhauch, der ihnen allen dreien um die Nase strich. Sie sah neugierig zu ihm hinauf. Und Aina glaubte in ihren Augen dieselbe Faszination erkennen zu können, die sie einst an ihn gefesselt hatte. Dieselbe Bewunderung. Dieselbe Vertrautheit und Nähe. Vielleicht bildete sie es sich ja nur ein, aber sie glaubte fest daran, dass sie spüren konnte, wer er war. Irgendwo tief in ihrem Inneren.
Er kniete sich zu ihr hinunter, nahm ihre kleine Hand und schüttelte sie sanft. »Einen wunderschönen Namen hast du, kleine Mia«, sagte er. In seinen Augen sammelten sich Tränen. Tränen der Rührung, Tränen des Schmerzes und Tränen der unbändigen Freude. Er lächelte sie an. Mit einem Gesichtsausdruck, der so viel bedeutete. »Ich kenne
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