Aina - Herzorgasmus
erwartet hatte vorzufinden. Als sie den Flur betrat und sich dort umsah, blieb ihr Blick an ihrem Schlüsselbund haften. Er lag friedlich und harmlos auf der Kommode und leuchtete im hereinfallenden Sonnenlicht, als habe man jeden einzelnen Schlüssel davon auf Hochglanz poliert. Ainas Herz raste los, als sie sich ihm näherte und ihn fassungslos berührte. Dann sah sie sich ihre rechte Hand an. Sie hatte sich gestern Nacht noch all das Blut von der Haut geschrubbt. Aber die Schlüssel hatte sie so gelassen, wie sie waren. Blutverschmiert. Klebrig und schmutzig. Doch jetzt waren sie so sauber, als seien sie noch niemals benutzt worden. Aina wandte sich verwirrt um und lief ins Bad. Auch hier war alles sauber. Das Handtuch, das sie neben der Toilette hatte liegen lassen, als sie sich übergeben hatte, war fort. Sie öffnete den Wäschekorb. Er war leer.
Sie lief wieder in den Flur, schnappte sich ihr Handy und wählte Andis Nummer. Doch sie stockte, bevor sie auf den Hörer drückte. Was sollte sie ihm sagen? Dass sie letzte Nacht einen Mann mit ihren Schlüsseln attackiert hatte, um eine Frau zu retten und sie nun keinerlei Beweise dafür hatte, dass all das wirklich passiert war? Die Frau war weg, ihre Waffe war kein Beweisstück mehr und jedes Indiz, dass diese Ereignisse überhaupt stattgefunden hatten, hatte sich in Luft aufgelöst. Hatte sie vielleicht doch nur geträumt? Sie klappte das Handy zu, legte es wieder weg und betrachtete ihre Hand. DieRückseiten der Schlüssel hatten sich bei ihrem Angriff schmerzhaft in ihre Handfläche gebohrt. Es hatte so sehr geschmerzt, dass sie ihre Hand den ganzen restlichen Abend nicht mehr hatte bewegen können. Doch jetzt spürte sie gar nichts mehr.
Sie sah sich verzweifelt im Spiegel an und befürchtete nun doch langsam den Verstand zu verlieren. Hatte sie so lebhaft geträumt? Schon wieder? Sie hob die Tabletten hoch, die immer noch in ihrer Hand lagen und betrachtete sie skeptisch. Sie hatte sie gestern nicht eingenommen. Waren die Auswirkungen mittlerweile so drastisch? War sie nun ohne sie überhaupt nicht mehr dazu in der Lage ein normales Leben zu führen?
Auf einmal klingelte ihr Handy und erschreckte sie so sehr, dass sie die Tabletten in die Luft warf und kurz aufschrie. Die Schachtel fiel auf den Boden, machte ein klackerndes Geräusch und ließ sie vor Schreck zur Seite springen.
»Ruhig«, hauchte sie und legte sich dabei eine Hand auf ihre Brust. Sie atmete einmal tief durch, klappte dann das Handy auf und ging ran. Es war ihr Vater.
»Wo bleibst du, Aina? Wir warten auf dich.«
Sie schnappte noch einmal nach Luft und versuchte sich zu erinnern welcher Tag heute war, doch ihre Gedanken schlugen Purzelbäume. Sie bewegten sich in alle Richtungen, nur nicht in die, in die sie sollten.
»Die Leute vom Frauenhaus«, half er ihr auf die Sprünge, »die du das ganze Jahr unterstützt hast.«
Endlich fiel Aina ihr Leben wieder ein. Ihr Alltag und ihre Verpflichtungen. Es kam alles zurück, als würde sich ein dichter Nebel lichten. »Oh, verdammt«, fluchte sie leise, »ich komme sofort!«
Schnell schnappte sie sich ihre Handtasche, warf sich ihren Mantel über, schlüpfte in die Stiefel, die seltsam sauber aussahenund lief hinunter zu ihrem Wagen. Als sie einstieg und den Schlüssel ins Zündschloss steckte, strich sie erst einmal über das Lenkrad und suchte nach Blutflecken. Aber es war nichts zu sehen. Dann suchte sie den Beifahrersitz ab. Auch hier war nichts. Bevor sie losfuhr, saß sie noch einen Moment einfach nur stirnrunzelnd da und starrte verwirrt den Parkplatz an. Hatte sie wirklich nur geträumt? Es kam ihr so real vor, dachte sie und betrachtete noch einmal ihre Hand. Sie ballte eine Faust und öffnete sie dann wieder, doch sie fühlte keinen Schmerz mehr. Dann fielen ihr die Worte der Frau wieder ein, die von Wesen gesprochen hatte, die aus Wut, Hass und Angst bestünden. Ja, es musste ein Traum gewesen sein. Ein ziemlich verrückter dazu. Als sie sich dann an das Gefühl erinnerte, als das Fleisch des Mannes unter der Wucht ihres Schlages aufgebrochen war, schauderte sie und fuhr schnell los.
Ihr Vater wohnte am Stadtrand in einem wunderschönen, idyllischen Häuschen, das von einem mit Rosen bepflanzten, dunklen Zaun eingerahmt war. Im Sommer blühte und duftete es hier wie im Paradies. Sie erinnerte sich, wie sie schon als Kind an den Rosenblüten geschnuppert hatte und auf den riesigen Baum geklettert war, der im Vorgarten stand. Die
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