Aina - Herzorgasmus
normal. Oder? Sie stapelte gedankenverloren die Dosensuppen in ihrem Wagen und blickte dabei einer Frau nach, die ihren Wagen durch denselben Gang schob. Sie sah fröhlich aus. Und unbeschwert. Einen Augenblick später kam ihr Freund hinter ihr um die Ecke und warf ebenso fröhlich und unbeschwert ein paar Tüten Chips in den Wagen. »Für heute Abend«, flüsterte er und grinste neckisch. Die Frau kicherte leise.
Aina senkte den Blick und spürte, wie der Neid in ihr aufstieg und die Wut darüber, dass sie niemals in der Lage sein würde, ein solch unbeschwertes Leben zu leben, wie die beiden. Vielleicht war das der Fluch all jener, die sich für das Wohl der Menschen aufopferten, dachte sie. Oder es war einfach ihr ganz persönlicher Fluch, der ihr von ihrer Mutter in die Wiege gelegt worden war. Sie holte tief Luft und versuchte den Wunsch nacheinem normalen, unbeschwerten Leben zu unterdrücken, während sie ihren Wagen an die Kasse schob. Sie beruhigte sich mit dem Gedanken, dass sie nicht der Typ Mensch für ein normales Leben war. Wenn es nicht schon so verkorkst gewesen wäre, hätte sie es sich womöglich eigenhändig verkorkst, um etwas Spannung und Herausforderung hinein zu bringen. Wahrscheinlich war auch das der Grund, warum sie sich die Rettung der Welt zum Ziel gemacht hatte. In einem normalen Leben, ohne besondere Herausforderung, würde sie doch vor Langeweile eingehen, dachte sie bei sich, als sie der Kassiererin ihr Geld gab. Sie wusste nicht, ob sie sich damit nur ihr Leben versuchte schönzureden, oder ob es wirklich so war. Aber das war im Moment auch nicht so wichtig. Sie wollte einfach nur noch nach Hause und sich ausruhen. Ihren Kopf für eine Stunde bei einem oberflächlichen, dümmlichen Film ausschalten und dann schlafen gehen. Ohne Grübelei. Ohne Gedankenchaos. Ohne Psychoanalysen.
Die Einkaufstüten verstaute sie im Kofferraum ihres Kleinwagens und den Kaffee, den sie sich beim benachbarten Bäcker noch geholt hatte, steckte sie schon einmal in die Halterung zwischen die Sitze, bevor sie einstieg. Doch gerade in diesem Moment blieb ihr Blick an der schmalen Gasse neben dem Supermarkt haften. Da stand ein Mann und starrte sie unverhohlen an. Er trug keinen schwarzen Mantel, sondern eine dunkle Jacke, deren Kragen aufgerichtet war und sein halbes Gesicht verdeckte. Doch sie konnte deutlich seine Augen sehen. Tief schwarze Augen. Groß und… unheimlich. Sie stieg schnell ein und verdrängte den Gedanken, dass die Männer vorhin ebenfalls solch dunkle Augen gehabt hatten. So, wie der Mann in ihrem Traum letzte Nacht. Aber wahrscheinlich bildete sie sich das auch nur ein. Ihr Verstand spielte ihr einen Streich. Wie üblich. Dennoch fuhr sie viel zu schnell nach Hause, nahmeinigen Autos die Vorfahrt und fuhr sogar über eine rote Ampel. Als sie zu Hause ankam und die Tüten hinauf trug, dämmerte es bereits. Sie stellte alles in der Küche ab und lief erst einmal durch die Wohnung, um alle Fenster und Jalousien zu schließen.
»Ganz ruhig«, flüsterte sie sich zu. Es gab dutzende Menschen mit dunklen Augen. Die waren doch nicht alle böse, nur weil der Mann in ihrem Traum letzte Nacht zufällig… Sie hielt inne, als sie die Wohnzimmerjalousie herunterlassen wollte und schnappte nach Luft. Da stand jemand vor ihrem Haus. Im Hof. Direkt an der Wand. Doch ehe sie Genaueres erkennen konnte, huschte er um die Ecke wie ein Schatten. So schnell, dass seine Bewegung wirkte wie ein einziges Zucken.
Aina erschrak, ließ die Jalousie auf die Fensterbank knallen und stolperte rückwärts über ihren Wohnzimmertisch, wobei sie die Glasvase mit sich riss und direkt hinein stürzte. Sie zerbrach unter ihrem Arm und eine Scherbe bohrte sich tief in ihr Fleisch. Sie spürte den Schmerz erst, als sich ihr Pullover dunkelrot färbte. Stöhnend rollte sie sich auf die Seite, hob den Kopf und sah mit verschwommenem Blick zwei Stiefel direkt vor ihrer Nase. Es waren nur Bruchteile von Sekunden, in denen sie das Leder roch und das Aftershafe von letzter Nacht. Und in einem winzigen Augenblick blitzten seine Augen vor ihr auf, bevor sie das Bewusstsein verlor. Dunkle, unheimliche Augen. So tiefschwarz wie die Nacht.
3
Vorbereitungen
»Das Gebäude ist denkmalgeschützt!«, fauchte er am anderen Ende der Leitung. »Es dauert eben ein bisschen, bis man die Papiere gefälscht und diese Bürokratenhirne manipuliert hat!«
»Ist es jetzt erledigt?«, fragte Sergej ihn ungeduldig.
»Ja, ist es«, brummte er
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