Aina - Herzorgasmus
nicht zu bewältigen. Unsterblich.«
Aina senkte den Kopf und nickte kurz darauf.
»Und was die Wesen angeht, die aus Angst und Hass bestehen«, fuhr er dann fort, »das werden wohl einfach Symbole für das sein, was du versuchst zu bekämpfen. Leid, Angst, Hass…«
Wieder nickte sie. Ihr war klar, dass sie nicht die ganze Welt retten konnte. Doch sie wollte wenigstens etwas verändern. Das Leid mildern. Mehr Liebe verbreiten. So, wie ihr Vater. Aina sah ihn an. Sein Gesicht strahlte so viel Frieden aus. Gelassenheit und Ruhe. Wie sehr hatte sie sich schon als Kind gewünscht, genauso wie er zu werden. Und sie hatte ihr ganzes Leben damit verbracht seinem Vorbild nachzueifern. Liebe und Frieden zu schenken, Ruhe und Gelassenheit auszustrahlen und überall, wo sie auch war, Gutes zu tun. Doch sie konnte nicht leugnen, dass auch böses Blut in ihren Adern floss. Und ganz offensichtlich war es sehr stark.
»Nimmst du die Tabletten noch?«, fragte er.
»Ja«
Walter seufzte. »Ich kann mich damit einfach nicht anfreunden. Ich finde es nicht gut, dass du dich damit vollpumpst. Und ganz offensichtlich wirken sie auch nicht.«
Jetzt sah Aina wütend auf. »Sie halten mich in Schach, Papa! Wenn ich sie nicht nehme, verliere ich die Kontrolle darüber. Kannst du dir vorstellen wie anstrengend es ist, dauernd seine Gedanken und Gefühle zu unterdrücken?«
»Ich weiß nicht«, seufzte Walter. »Es ist nicht gut, etwas zu unterdrücken.«
»In diesem Fall schon«, widersprach Aina stur. »Ich will nicht so enden, wie sie.«
Sie blieben einen Moment lang stumm und sahen sich nicht an. Die Wanduhr tickte leise vor sich hin und durchbrach die unangenehme Stille. Irgendwann sagte Walter: »Deine Mutter war nicht nur schlecht, Aina.«
»Sie«, hauchte Aina wütend aus, »war eine Verbrecherin und eine Mörderin. Eine Verrückte! Und ich muss damit klarkommen, dass ich all das von ihr geerbt habe. Ich werde sicher nicht tatenlos rumsitzen und zusehen, wie es mich kontrolliert.«
Walter starrte seufzend die Tischdecke an und faltete seine Hände vor seinem Mund. »Aber sie war auch deine Mutter, Aina«, raunte er. »Und sie hat dich geliebt.«
»Pfh«, machte Aina verächtlich, schob ihren Stuhl zurück und stand auf. »Ich muss jetzt los. Mach's gut, Papa. Und danke noch mal.« Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange, nahm sich ihren Mantel und verschwand, ohne noch ein Wort zu sagen.
Der Mann in dem langen, schwarzen Mantel, der am Ende der Straße stand, als sie losfuhr, fiel ihr zunächst nicht auf. Oder vielleicht beachtete sie ihn auch einfach nicht. Sie war zu sehr in ihren Gedanken versunken. Erst später, als sie durch die Stadt fuhr und einen Mann sah, der genau denselben Mantel trug und ihr ebenfalls nachblickte, fiel er ihr wieder ein. Sie sah den Mann an, wandte ihren Blick aber schnell wieder ab. »Hat wohl noch nie 'ne Blondine gesehen«, murmelte sie etwas missgelaunt vor sich hin und dachte sich nichts weiter dabei. Ihre Gedanken waren noch bei dem Gespräch mit ihrem Vater. Sie hasste es, wenn ihre Mutter zur Sprache kam. Das hatte sie schon immer gehasst. Es löste Gefühle in ihr aus, die sie nicht fühlen wollte. Gefühle, die sie sonst immer versuchte zu verdrängen. Und normalerweise gelang es ihr auch. Zwar mit Hilfe von Tabletten, aber was machte das schon für einen Unterschied? Sie hatte sich die meiste Zeit ihres Lebens unter Kontrolle. Und das war dieHauptsache. Sie wollte nicht an Gefühle erinnert werden, die aus ihr etwas machten, das sie mehr als alles Andere auf der Welt hasste. Sie wollte keine Wut fühlen, keinen Hass und keine Rache- und Mordgelüste. Denn das verwandelte sie in etwas, das ihrer Mutter viel zu ähnlich war. Und es erinnerte sie an all das Böse auf der Welt, das sie zu bekämpfen versuchte. All das Leid, den Schmerz und den Kummer. Diese Gefühle waren doch die Ursache für all die Dunkelheit auf der Welt.
Sie hielt noch schnell am Supermarkt, um für das Wochenende einzukaufen und ließ sich Zeit dabei. Es entspannte sie einzukaufen und nach diesem Tag und der letzten Nacht hatte sie Entspannung dringend nötig. Jedoch sah sie sich trotzdem hin und wieder im Laden nach Männern in langen, schwarzen Mänteln um, die sie beobachteten und hoffte währenddessen, dass sie der Traum von letzter Nacht nicht auch noch paranoid werden ließ. Vielleicht achtete sie im Moment einfach nur besonders auf lange Mäntel und dunkle Augen. Das war doch nach einem solchen Erlebnis ganz
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