Airborn 01 - Wolkenpanther
gesehen.«
Seine Worte kamen nun keuchend und er musste wieder husten. Sein ganzer Körper bebte. Ich blickte mich besorgt um. Doc Halliday kam herein und sagte, es sei wohl am besten, wenn ich nun ginge.
Mit einem elenden Gefühl im Bauch trottete ich davon. Wenn ich anders mit ihm geredet hätte, hätte er sich vielleicht nicht so aufgeregt. Wenn ich bessere Worte gefunden hätte.
Etwa eine Stunde später spürte Doc Halliday mich in der Kombüse auf, wo ich das Silberbesteck für das Abendessen putzte, und teilte mir mit, dass Benjamin Molloy soeben gestorben sei. Ich spürte überrascht, dass mir Tränen in die Augen stiegen. Schließlich hatte ich ihn so gut wie gar nicht gekannt.
Doc Halliday drückte meinen Arm.
»Nimm es dir nicht so zu Herzen, Matt Cruse. Er war ein sehr kranker Mann.«
Ich nickte. Ich wünschte nur, er wäre vor seinem Tod nicht so böse auf mich gewesen. Betrübt erzählte ich dem Doktor von Molloys letzten Worten. Doc Halliday lächelte tröstend.
»Menschen, die im Sterben liegen, sagen oft seltsame Dinge. Das hat nichts mit dir zu tun.«
Aber während meiner Wache in dieser Nacht spukten mir Benjamin Molloys Worte wieder und wieder durch den Kopf, und ich fragte mich, was er wohl gesehen hatte. Oder geglaubt hatte zu sehen. Seinen Worten nach zu schließen waren es irgendwelche geflügelten Geschöpfe im Himmel. Wunderschöne Geschöpfe. Vielleicht hatte er einen Albatros gesehen oder irgendeinen anderen großen Seevogel, obwohl dies so weit draußen über dem Ozean selten vorkam.
Nun, es gab jede Menge verrückter Geschichten über geflügelte Wesen. Engel und Drachen, Himmelsgeister und Wolkensphinxen – am Ende stellten sie sich dann doch immer als etwas anderes heraus: grelles Licht, das sich im Wasser spiegelte, ein Schatten im Nebel, ein Trugbild, von den müden Augen eines übernächtigten Matrosen in den Himmel projiziert. Dennoch hielt ich in dieser Nacht scharf Ausschau, während mein Blick über den Horizont schweifte und über die Sternbilder sprang. Ich bemerkte nichts Ungewöhnliches und sah keines von Benjamin Molloys wunderschönen Geschöpfen, obwohl ich es mir gewünscht hätte. Ich wollte so gerne glauben, dass es noch unendlich viele Dinge hoch oben am Himmel gab, Dinge, die wir nicht sehen konnten.
Ein Jahr später
2. Kapitel
Luftschiff hoch!
Zieht die Gangways hoch! Schließt die Luken!
Das Frachtgut war verladen und verstaut worden, alle Passagiere waren an Bord. Von der Kommandobrücke ertönte der Ruf: »Luftschiff hoch!«, die zweihundert Mann starke Bodencrew löste die Halteleinen und mit einem lauten Platschen warfen wir unseren Wasserballast ab. Die Männer und Frauen auf dem Flugfeld stießen einen Jubelschrei aus, und wir stiegen empor, während die Passagiere an den Fenstern mit Hüten und Taschentüchern winkten und die Leute am Boden uns ebenfalls winkend verabschiedeten. Wir stiegen rasch höher, bald lag der Flugplatz tief unter uns und die Türme von Löwentorstadt breiten sich nördlich von uns aus. Sicher und sanft wie ein Engel schwebten wir in die Morgendämmerung empor.
Ich hatte gerade eine Woche Landurlaub hinter mich gebracht. Während meiner ersten Tage zu Hause hatte meine Mutter einen schrecklichen Wirbel veranstaltet und mir alle meine Lieblingsgerichte gekocht und meine Lieblingskuchen gebacken. Abends waren wir bis spät aufgeblieben und hatten uns unterhalten, bis Sylvia und Isabel unter lautstarkem Protest ins Bett geschickt wurden, weil sie am nächsten Tag zur Schule mussten. Meine kleinen Schwestern waren gewachsen, seit ich sie zuletzt gesehen hatte. Sie waren in die Höhe geschossen wie junge Bäume. Beide überhäuften mich mit Küssen, als ich ihnen ihre Geschenke überreichte. Ich brachte ihnen immer etwas mit, wenn ich nach Hause kam, weil ich häufig ihre Geburtstage und manchmal sogar Weihnachten verpasste. Isabel bekam ein Didgeridoo aus Australien, weil sie so musikalisch war und Instrumente aller Art liebte. Und dieses hatte sie noch nie gesehen. Für Sylvia, die sich nun, da sie bald zwölf wurde, für eine überaus modische Dame hielt, hatte ich einen wunderschönen Schildpattreif mitgebracht, den ich auf dem Großen Basar in Marrakesch entdeckt hatte. Meiner Mutter schenkte ich wie beim letzten Mal eine Flasche des iberischen Parfüms, das sie so sehr liebte. Mein Vater hatte diesen Duft früher immer für sie mitgebracht. Meine Mutter hätte sich so ein Parfüm nie selbst gekauft; sie sagte, es
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