Akt der Liebe - Lansdale, J: Akt der Liebe - Act of Love
dazu gar kein Geld. Man sagt, es gebe dort Typen, die könnten nachts nicht einschlafen, bevor sie nicht jemanden umgebracht haben.
Tod, Blut und Gewalt sind also keine Unbekannten in Pearl Harbor und dem Ghetto des Fifth Ward. Es ist eine enge, schwarze Welt, vollgestopft mit Fleisch und Armut, eine Sickergrube der Verzweiflung. Verglichen mit Houstons zehn Prozent leben hier im Stadtviertel mehr als vierunddreißig Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Das Durchschnittseinkommen im Ward liegt knapp über fünftausend Dollar, während der Gesamtdurchschnitt Houstons fast zehntausend Dollar beträgt.
Wie in jedem Ghetto stecken auch hier die Bewohner tief im dunklen Morast aus Ignoranz, Schmerz und Zerstörung. Doch all dem brodelnden Hass und der explodierenden Gewalt zum Trotz hat sich, genährt von Leere und Verzweiflung, ein eigentümlicher Stolz breitgemacht. Ein Stolz, der den Bewohnern erlaubt, nicht nur mit dem Schmerz zu leben, sondern hin und wieder auch in Freuden … und mitunter sieht sich dieser Stolz mit etwas konfrontiert, das weder das eine noch das andere darstellt. Und dieses Etwas jenseits der Mühsal des täglichen Daseins im Ward ist ganz gewiss keine Freude.
Es ist eine Art des Entsetzens über etwas, was dort zwar nicht endete, aber genau dort begann.
Es war die Geburt des eiskalten, berechnenden Verrückten, der als der »Houston Hacker« bekanntwerden sollte.
SONNTAG · 23.58 Uhr
Die Erinnerung an das Blut und ihre Gegenwehr verschaffte ihm eine Erektion.
Er trat aus der Dunkelheit in das schwache Licht der Straßenlaternen. Laternen, total verdreckt, übersät mit verspritzten Überresten von Kamikazeinsekten. Der knöchellange Regenmantel, den er getragen hatte, war jetzt um das blutige Bajonett und seinen eben erworbenen Schatz gewickelt. Er hatte den Mantel unter den Arm geklemmt. In seinen Schritten lag weder Hast noch waren seine Bewegungen langsam. Sein Gesicht war schwarz geschminkt, er trug Handschuhe und hatte eine eng anliegende Strickmütze über den Kopf gezogen.
Er ging zu dem braunen VW, der am Bordstein stand und vor zwei Stunden und fünfunddreißig Minuten gestohlen worden war. Seinen eigenen Wagen hatte er auf einem 24-Stunden-Parkplatz zurückgelassen. Mithilfe eines Schlüsselbundes - die Sorte, die Profis benutzen, um unbezahlte Autos zurückzuholen - hatte er den VW nahe der Jack-In-The-Box-Hamburgerbude gestohlen. Für den Job heute Nacht. Den ersten Job von vielen.
Er öffnete den VW, glitt hinein und ließ den Motor an. Während der Motor im Leerlauf lief, wischte er sich das Gesicht mit einem Taschentuch ab. Damit es leichter ging, hatte er eine Dose Creme mitgebracht, die auf dem Beifahrersitz lag. Von Zeit zu Zeit tupfte er einen Zipfel des Taschentuchs in die Creme und trug sie auf sein Gesicht auf.
Niemals hätte er jemandem vormachen können, er sei schwarz, aber auf große Entfernung - die einzige Entfernung, aus der er gesehen werden konnte, mal abgesehen von der kleinen Niggerschlampe in der Gasse - war es eine wirkungsvolle Tarnung. Selbst an seinem Gang hatte er gearbeitet. Einmal hatte er einen Film gesehen, Cotton comes to Harlem , und in diesem Film hatte ein schwarzer Junkie einige maskierte Männer nur an ihrem Gang wiedererkannt. Er hatte so was gesagt wie: »Ich weiß, es waren Weiße, Mann. Sie rannten weiß .«
Nun, er konnte schwarz gehen. Er drehte den Deckel auf die Cremedose, steckte das schwarz verschmierte Taschentuch in die Tasche seiner Jeansjacke, legte einen Gang ein und fuhr aus der Parklücke, weg aus dem Zentrum von Houstons verruchtem Ghetto, dem Fifth Ward.
Fifth Ward. Er dachte darüber nach, kostete die Worte auf seinen Lippen aus. Fifth Ward. Die Worte schmeckten
süß. Die Furcht ist besiegt, dachte er, zertreten wie eine Ameise unter meinem Absatz. In der Highschool hatten die Jungen immer gesagt: »Wenn du willst, dass man dir die Innereien rausholt, mach einen Abstecher in die Niggerstadt, fahr die Jensen rauf und runter, und einer dieser Krausköppe wird’s dann garantiert für dich tun.«
Er musste unwillkürlich lächeln. Es war eine alte Angst aus seiner Kindheit, und er hatte davon geträumt, sie zu bekämpfen. Er war kein Mann mehr, der lediglich träumte - und da war mehr, als nur die Angst zu bezwingen, viel mehr. Es ging um den Genuss, einen Genuss, den er sich, außer in seinen Träumen, lange versagt hatte. Von dem einen oder anderen Hund oder der einen oder anderen Katze, die unter
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