Akte Atlantis
kurbelte er das Fenster herunter und sah sich den Gang genauer an. Der Snow Cruiser passte mit knapper Not durch; seiner Schätzung nach war links und rechts und unter der Decke allenfalls ein halber Meter Platz.
Dann bemerkte er das dicke Rohr an der Außenwand, von dem kleine Röhrchen senkrecht nach oben und unten führten.
»Was hältst du davon?«, fragte er und deutete darauf.
Giordino stieg aus dem Snow Cruiser, quetschte sich zwischen den Vorderrädern und dem Rohr hindurch und legte die Hände darauf.
»Keine Stromleitung«, meldete er. »Es muss sich um irgendwas anderes handeln.«
»Wenn es das ist, was ich glaube…« Pitts Stimme klang nachdenklich.
»Ein Teil von dem Mechanismus, mit dem das Schelfeis losgebrochen werden soll«, sagte Giordino, der den Gedankengang seines Freundes zu Ende brachte.
Pitt reckte den Kopf aus dem Fenster und blickte den Tunnel entlang, soweit er etwas erkennen konnte. »Der muss vom Werksgelände aus rund zweitausend Kilometer um das Schelfeis führen.«
»Eine unfassbare technische Leistung. Das ist so weit wie von San Francisco nach Phoenix.«
»Ob unfassbar oder nicht«, sagte Pitt. »Die Wolfs haben es jedenfalls geschafft. Außerdem musst du bedenken, dass es leichter ist, einen Tunnel durch Eis zu bohren als durch Felsgestein.«
»Wie wär’s, wenn wir einfach die Verbindung unterbrechen und die ganze Anlage lahm legen, mit der sie das Eis abspalten wollen?«, fragte Giordino.
»Das könnte die ganze Sache vorzeitig auslösen«, antwortete Pitt. »Das Risiko dürfen wir nicht eingehen, es sei denn, uns bleibt nichts anderes übrig. Dann können wir meinetwegen die Verbindung unterbrechen.«
Wie ein klaffender schwarzer Schlund tat sich der Tunnel vor ihnen auf. Schummriges Sonnenlicht fiel durch das Eis, doch die Halogenlampen, die etwa alle fünf Meter an der Decke hingen, waren dunkel.
Offenbar war der Strom abgestellt. Pitt schaltete die beiden kleinen Scheinwerfer vorn am Snow Cruiser an, legte den Gang ein und beschleunigte, bis sie mit rund dreißig Stundenkilometern durch den Gang rasten. Nicht schneller als ein Radfahrer, doch in dem engen Tunnel eine geradezu halsbrecherische Geschwindigkeit.
Während Pitt darauf achtete, dass er mit dem Snow Cruiser nicht die eisigen Wände rasierte, saß Giordino neben ihm, das Gewehr aufs Knie gestützt, die Augen nach vorn gerichtet, so weit die Scheinwerfer reichten, und hielt Ausschau nach verdächtigen Bewegungen. Doch er sah nur das scheinbar endlose Rohr mit den nach oben und unten abführenden Röhrchen.
Der Tunnel war völlig menschenleer und verlassen, für Pitt ein eindeutiges Zeichen dafür, dass die Wolfs und ihre Arbeiter dabei waren, das Werk zu räumen und sich auf ihre Schiffe abzusetzen. Er fuhr so schnell er konnte, schrammte ab und zu mit den Radkappen links und rechts über das Eis und riss tiefe Furchen in die Wände, ehe er den Snow Cruiser wieder im Griff hatte. Allmählich bekam er es mit der Angst zu tun. Sie hatten auf dem Schelfeis zu viel Zeit verloren. Vier Tage und zehn Stunden, das war die Frist, die Karl Wolf bei dem Botschaftsempfang in Buenos Aires großspurig verkündet hatte.
Vier Tage waren um, dazu acht Stunden und vierzig Minuten.
Damit blieb nur noch eine Stunde und zwanzig Minuten, bis Karl auf den Knopf drückte und den Weltuntergang auslöste.
Pitt schätzte, dass sie noch anderthalb bis zwei Kilometer vom Zentrum der Anlage entfernt waren. Er und Giordino hatten keine Satellitenaufnahmen von der Fabrik zu Gesicht bekommen, daher konnten sie nur raten, wo sich die Schaltzentrale befand. Immer wieder musste er an die Special Forces denken. Waren sie inzwischen gelandet und hatten die Söldner ausgeschaltet? Die leisteten wahrscheinlich erbitterten Widerstand – die Wolfs hatten ihnen sicher versprochen, dass sie und ihre Familien vor der Katastrophe gerettet werden würden. Wie man’s auch drehte und wendete, allzu rosig sah die Sache nicht aus.
Nachdem sie etwa achtzehn Minuten lang schweigend durch den engen Tunnel gebrettert waren, beugte sich Giordino vor und deutete nach vorn. »Wir kommen zu einer Kreuzung.«
Pitt bremste den Snow Cruiser ab, als sie die Stelle erreichten, an der fünf verschiedene Tunnel in das Eis führten. Es war zum Wahnsinnigwerden.
Sie durften keine Zeit verlieren, konnten nicht lange herumsuchen, bis sie den richtigen fanden. Er beugte sich aus dem Fenster und musterte den eisigen Boden. Er war von allerlei Spurrillen zerfurcht,
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