Assassin's Creed: Die Bruderschaft (German Edition)
PROLOG
Die Geschehnisse der vergangenen und höchst merkwürdigen fünfzehn Minuten – bei denen es sich ebenso gut um fünfzehn Stunden oder sogar Tage hätte handeln können, so lang waren sie Ezio vorgekommen – spielten sich vor seinem geistigen Auge noch einmal ab, als er mit schwirrendem Kopf aus dem Gewölbe unter der Sixtinischen Kapelle stolperte.
Er erinnerte sich, obgleich es ihm wie ein Traum erschien, dass er in den Tiefen des Gewölbes einen gewaltigen Sarkophag, der augenscheinlich aus Granit bestand, gesehen hatte. Als er sich ihm näherte, hatte der steinerne Sarg zu leuchten begonnen, in einem durchaus angenehmen und lockenden Licht.
Er hatte den Deckel des Sarkophags berührt, der sich daraufhin öffnete, als wäre er leicht wie eine Feder. Daraus erstrahlte ein warmes gelbes Licht, und mitten aus diesem Leuchten erhob sich eine Gestalt, deren Züge Ezio nicht erkennen konnte. Dennoch wusste er, dass es sich um eine Frau handelte. Eine Frau von ungewöhnlicher Statur, die einen Helm trug und auf deren rechter Schulter eine Eule saß.
Das Licht, das sie umhüllte, blendete ihn.
„Sei gegrüßt, oh Prophet“, sagte sie und nannte ihn damit bei jenem Namen, den man ihm rätselhafterweise verliehen hatte. „Ich habe seit zehntausend mal tausend Zeiten auf dich gewartet.“
Ezio wagte nicht aufzuschauen.
„Zeig mir den Apfel!“
Demütig bot Ezio ihn ihr dar.
„Ah!“ Sie strich mit der Hand über den Apfel, ohne ihn jedoch zu berühren. Er leuchtete und pulsierte. Ihr Blick bohrte sich in Ezio. „Wir müssen uns unterhalten.“ Sie legte den Kopf schief, als dächte sie über etwas nach, und Ezio, der den Kopf hob, meinte, in ihrem schillernden Gesicht die Spur eines Lächelns zu entdecken.
„Wer seid Ihr?“
„Oh, ich habe viele Namen. Als ich … starb, hieß ich Minerva.“
Ezio kannte den Namen. „Die Göttin der Weisheit! Die Eule auf Eurer Schulter. Der Helm. Natürlich.“ Er neigte den Kopf.
„Wir sind nicht mehr. Die Götter, die deine Vorfahren verehrten. Juno, die Königin der Götter, und mein Vater Jupiter, ihr König, der mich durch seine Stirn gebar. Ich war nicht die Tochter seiner Lenden, sondern seines Geistes!“
Ezio stand wie versteinert da. Sein Blick wanderte über die Statuen, die sich entlang der Wände reihten. Venus. Merkur. Vulcanus. Mars …
In der Ferne erklang ein Laut, der wie zerbrechendes Glas klang oder wie das Geräusch, mit dem ein Stern vom Himmel fallen mochte – es war Minervas Lachen. „Nein, wir sind keine Götter. Wir waren einfach nur vorher da. Selbst als wir auf Erden wandelten, hatten die Menschen Mühe, unsere Existenz zu verstehen. Wir waren lediglich ihrer Zeit voraus.“ Sie hielt inne. „Aber auch wenn du uns nicht begreifen kannst, so musst du doch unsere Warnung zur Kenntnis nehmen.“
„Ich weiß nicht …“
„Fürchte dich nicht! Ich möchte zu dir, aber auch durch dich sprechen. Du bist der Auserwählte deiner Zeit. Der Prophet .“
Ezio spürte, wie mütterliche Wärme seine Erschöpfung durchdrang.
Minerva hob die Arme, und die Decke des Gewölbes wurde zum Himmelszelt. Ihr funkelndes Gesicht zeigte einen Ausdruck unsagbarer Traurigkeit.
„Hör und sieh!“
Ezio konnte die Erinnerung kaum ertragen – er hatte die ganze Erde gesehen und den Himmel, der sie umgab, bis weit zur Milchstraße hinaus, die ganze Galaxis, und sein Verstand konnte die Vision kaum fassen. Er sah eine Welt – seine Welt –, von Menschenhand zerstört, und eine windgepeitschte Ebene. Doch dann sah er Menschen – gebrochen, vergänglich, aber unverzagt.
„Wir gaben euch Eden“, sagte Minerva, „aber daraus wurde der Hades. Die Welt brannte, bis nichts außer Asche übrig blieb. Aber wir erschufen euch nach unserem Bilde, und wir erschufen euch – ganz gleich, was ihr tatet und wie viel wucherndes Böses in euch steckte –, weil wir es wollten, aus freien Stücken, und wir schenkten euch den Willen zum Überleben. Nach den Verheerungen bauten wir die Welt wieder auf, und nach Äonen wurde daraus die Welt, die du kennst und in der du lebst. Wir bemühten uns nach Kräften, dafür zu sorgen, dass sich eine solche Tragödie niemals wiederholen wird.“
Ezio schaute wieder zum Himmel hinauf. Ein Horizont. Darauf Tempel und Konturen, in Stein geritzte Zeichen, Bibliotheken voller Schriftrollen, dazu Schiffe und Städte und Musik und Tanz. Spuren alter Zivilisationen, die ihm fremd waren und die er doch als das Werk anderer
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